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Die Bildungsverwaltung hat die Abiturergebnisse aller Berliner Schulen veröffentlicht.

© dpa

Rektoren über Veröffentlichung der Abiturergebnisse: Schulen zwischen Stolz und Stigma

Die Abiturergebnisse aller Berliner Schulen sind seit einigen Tagen im Internet abrufbar. Zwei Gespräche mit Direktoren der schlechtesten Gymnasien über das Ranking und die Auswirkungen auf den Ruf ihrer Schule.

Hans-Martin Geßler leitet die Fritz-Reuter- Oberschule in Lichtenberg. Sie hat im stadtweiten Vergleich den viertschlechtesten Abiturdurchschitt (2,87).

Herr Geßler, die Abiturergebnisse aller Berliner Gymnasien und Oberschulen sind jetzt öffentlich einsehbar. Ärgert Sie das?

Für unsere Schule hat die Liste keine allzu große Bedeutung und wir gehen damit sehr gelassen um. Natürlich wissen wir, dass wir bei einer Durchschnittsnote von 2,87 nicht vor Ehrfurcht erstarren müssen. Aber wir sind hier schon stolz, wenn eine Zwei vor dem Komma steht.

Warum?

Nun ja, viele unserer Schülerinnen und Schüler haben einen schwierigen Hintergrund und sind stolz, wenn sie überhaupt das Abitur schaffen. Darum ist auch keiner unserer Lehrer enttäuscht, dass wir keinen Einser-Schnitt haben. Man muss aber bedenken, dass man nicht alle Gymnasien und Sekundarschulen in Berlin miteinander vergleichen kann – und um den Erfolg unserer Schüler zu beurteilen, betrachten wir sowieso etwas anderes.

Was denn?

Wir schauen uns an, wie viele unserer Abiturienten nach der sechsten Klasse eine Gymnasialempfehlung bekommen haben. Das waren in diesem Jahr rund 40 Prozent unserer Schulabgänger – und diese Quote sagt uns, dass 60 Prozent der Mädchen und Jungen, denen zunächst kein Abitur zugetraut worden war, bei uns den Abschluss geschafft haben.

Ist die Abiturnote denn aussagekräftig, was die Qualität einer Schule betrifft?

Das denke ich schon, und ich finde Vergleiche auch nicht schlecht. Für ein unverzerrtes Bild muss man aber Schulen auf Augenhöhe miteinander vergleichen.

Was sollte man anders machen?

Zum einen spielen das Einzugsgebiet mit seinen sozialen und sprachlichen Gegebenheiten und das Elternhaus der Schüler eine Rolle. Wenn sie zu Hause keine Lernhilfe bekommen, haben sie größere Schwierigkeiten. Zum anderen macht es einen Unterschied, ob ein Schüler schon in der Sekundarstufe I bei uns gewesen oder in der Oberstufe neu zu uns gekommen ist und verstärkt Hilfe braucht.

Gibt es noch andere Indikatoren?

Wenn Schüler positiv von ihrer Schule erzählen, ist das die beste Werbung.

"Ich denke, dass nicht Noten etwas über die Qualität einer Schule aussagen"

Beatrix Lux leitet die Ernst-Reuter-Oberschule in Mitte. Diese hat im stadtweiten Vergleich die schlechteste Abiturdurchschnittsnote (2,99).

Frau Lux, die Abiturergebnisse der Berliner Gymnasien und Oberschulen sind jetzt öffentlich einsehbar. Ärgert Sie das?

Laut der Liste ist unsere Schule ja mit einer Durchschnittsnote von 2,99 auf dem letzten Platz. Ich halte von der Veröffentlichung im Internet überhaupt nichts. Vor allem deswegen nicht, weil die Ernst-Reuter-Schule eine der zehn Brennpunktschulen des Projekts „School Turnaround“ ist.

Und wo ist das Problem?

Das Programm soll den zehn Brennpunktschulen ja helfen, ihre Strukturen und ihr Image zu verbessern. Wenn wir aber nach außen zeigen wollen, dass wir uns weiterentwickeln, hilft es doch nicht, Berlins Schule mit der schlechtesten Abitur-Durchschnittsnote zu sein.

Beatrix Lux leitet die Ernst-Reuter-Oberschule in Mitte.
Beatrix Lux leitet die Ernst-Reuter-Oberschule in Mitte.

© privat

Sind die Eltern Ihrer Schüler jetzt verunsichert?

Ich glaube, die Eltern werden mit der Liste stark verunsichert. Wir haben einen schlechten Ruf und es muss noch sehr viel getan werden. Das weiß ich. Der Vergleich mit den anderen Schulen ist da aber einfach nur kontraproduktiv und stigmatisierend.

Ist die Abiturnote denn aussagekräftig, was die Qualität einer Schule betrifft?

Ich denke, dass nicht Noten etwas über die Qualität einer Schule aussagen, sondern die Ausstattung, die Zusammenarbeit der Lehrer und das Angebot einer Schule. Qualität ist ja auch nicht nur Wissen. Außerdem kann man bei dem Vergleich der Gymnasien und Sekundarschulen in Berlin nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Was sollte man Ihrer Meinung nach denn anders machen?

Man muss die finanziellen Mittel, das Kollegium und die Schülerschaft analysieren. Bei uns haben 88 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Das alleine ist schon nicht einfach. Wenn ein Jahrgang wie die neunte oder zehnte Klasse dann noch elf Klassenzüge hat, dann kann man wirklich nicht mehr von Qualität sprechen.

Die Gespräche führte Marie Rövekamp.

Sehen Sie hier eine Übersicht über die Abiturergebnisse ausgewählter Gymnasien, Sekundar- und Berufsschulen.

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