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Religionsunterricht: Diepgens gescheiterter Handstreich

Bereits vor zehn Jahren wollte die Berliner CDU Religion zum Pflichtfach machen – die SPD drohte mit Koalitionsende.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Im Juni 1999 war es zum Koalitionskrach gekommen. Der damalige Kultursenator Peter Radunski (CDU) hatte im Alleingang den neuen Staatsvertrag mit der Evangelischen Kirche paraphiert, in dem der Religionsunterricht an den Berliner Schulen als Pflichtfach festgeschrieben wurde. Der SPD-Landeschef Peter Strieder intervenierte sofort; offenbar ziele die CDU auf ein vorzeitiges Ende der Koalition. Eine Woche später tagte der Koalitionsausschuss – die umstrittene Vertragsklausel wurde gestrichen.

Zwei Jahre sollte die große Koalition mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) an der Spitze noch halten, aber im Koalitionsvertrag, der nach der Wahl 1999 vereinbart wurde, tauchte das Ziel eines staatlich verantworteten Religionsunterrichts, angelehnt an die Praxis der meisten Bundesländer, nicht auf. Mit den Sozialdemokraten war das nicht zu machen. Die CDU-Basis murrte, fügte sich aber, denn es gab keine Alternative zum Regierungspartner SPD. Erst im März 2001, als die Koalition schon im Sterben lag, baute Bildungssenator Klaus Böger (SPD) in den Entwurf für ein neues Schulgesetz eine interessante Experimentierklausel ein.

Geplant war ein fünfjähriger Schulversuch, erprobt an öffentlichen Oberschulen der Klassen 7 bis 10. Ihnen wurde zur Auswahl gestellt: Ethik- und Religionsunterricht als ordentliche Wahlpflichtfächer, die eng miteinander kooperieren („Begegnungsmodell“). Oder Ethikunterricht als verpflichtendes Unterrichtsfach für alle, mit Unterrichtseinheiten, die von den Religionsgemeinschaften in eigener Verantwortung gestaltet werden („Fenstermodell“). Aber der Diepgen-Senat zerbrach wenig später und das Schulgesetz blieb, wie es war.

Seit Anfang der neunziger Jahre, nach Mauerfall und der Rückkehr an die Macht, hatten sich Diepgen und seine Partei vergeblich bemüht, den – in Berlin seit 1945 geltenden – Status des Religionsunterrichts als freiwilliges Angebot der Kirchen aufzuwerten. Im November 1992 legte die CDU im Abgeordnetenhaus ein Konzept „zur Einführung der Wahlpflichtfächer Religion und Ethik“ vor. Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) wurde mit einem Parteitagsbeschluss in die Pflicht genommen, einen Schulversuch zu starten.

Das Projekt, an dem sich zwischenzeitlich 37 Schulen und über 4000 Schüler beteiligten, wurde von den Beteiligten gut angenommen, führte zum Bedauern der CDU aber nicht zum gewünschten Erfolg. Es blieb ein Modellversuch, der erst 2004 beendet wurde, obwohl sich die Union in den Wahlkämpfen 1995 und 1999 vehement für ein Wahlpflichtfach Religion bzw. Ethik/Philosophie einsetzte. „Wer den Werteverfall und die schwindenden Grundlagen unseres Staates erlebt und beklagt, kommt bei den notwendigen Gegenmaßnahmen am Religionsunterricht nicht vorbei“, schrieb Diepgen in einem 1997 veröffentlichten Papier. Der Staat müsse „insbesondere den Kirchen die Rahmenbedingungen für die Weitergabe von Glauben und Moral zur Verfügung stellen.“

Der Regierende Bürgermeister Diepgen musste allerdings mit dem Problem kämpfen, dass es im Abgeordnetenhaus stets eine rot-rot-grüne Mehrheit gab, die eine Änderung des Schulgesetzes nicht zuließ. Trotzdem legte die CDU-Fraktion im August 1998 im Alleingang eine Gesetzesnovelle vor. Das Ziel: Religion und Ethik/Philosophie sollten ordentliche, alternativ zu wählende Lehrfächer werden, um in Zeiten „immer stärker werdender Jugendkriminalität und ethischer Orientierungslosigkeit der Vermittlung von Werten eine neue Priorität“ zu geben. Der Antrag blieb ein Jahr liegen und wurde im Juli 1999, kurz nach dem Koalitionsstreit um einen neuen Kirchenstaatsvertrag, von SPD, Grünen und PDS abgelehnt. Die FDP war damals nicht im Parlament. Kurz nach der Abstimmung rief der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky empört in den Plenarsaal: „Der Sozialismus hat gesiegt!“ Ulrich Zawatka-Gerlach

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