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Berlin: Remdina Saat (Geb. 1938)

Bonny und Clyde auf Niedersächsisch, Swimmingpools und bunte Bilder.

Beim Malen vergisst du alles um dich herum“, hatte ihr eine italienische Bekannte gesagt. Anfangs bemalte sie Hölzer, die sie im Fundus der Antik- und Trödelremise des Hauses fand. Als sie ihren Malstil entwickelt hatte, wagte sie sich an Leinwände. Helle, starke Farben gegen den Schmerz, gegen die Angst vor dem Tod.

Manchmal dachte sie an Schiffe oder an Wasser, aber auf eine gegenständliche Malweise kam es ihr nicht an. „Jeder soll sich unter den Bildern vorstellen, was er mag“, sagte sie. Die Schwestern und Ärzte im Krankenhaus waren begeistert und organisierten eine Ausstellung. Eine Krebspatientin, die alle düsteren Gedanken in quietschbunte Bilder verwandelt.

Mit dem Rauchen ganz aufhören, das wollte sie nicht. Nikotingenuss gehörte zu ihrem Leben, genauso wie ab und zu ein Gläschen Sekt und ein Chantré Rouge. Von der täglichen Schachtel kam sie immerhin auf fünf Zigaretten – und malte, wenn die Gespenster der Krankheit kamen, einfach ein neues Bild.

Sie mochte es, in beschwingte Stimmungen zu gleiten. Aufgewachsen war sie im „Waldschlösschen“, einem der ältesten Tanzlokale Osnabrücks. Immer Menschen um sich herum, das Geklirr von Gläsern, begehrliche Blicke, Plaudereien. Und dann die eine, nie endende Geschichte: Perry Rhodan! Jede Woche ein neues Heft, fast vierzig Jahre lang.

Auf ein Foto von sich war sie besonders stolz: sie am Zapfhahn, hinter der Theke des Waldschlösschens: Groß, schlank, blond, auf feminine Weise etwas herb. Jener Typ Frau, bei dem Italiener für einen Augenblick sogar ihre Mütter vergessen. Sie kannte das, sie war oft in Italien. Als Touristin und als junge Frau eines Handlungsreisenden.

Remmy und ihr Mann, den sie im Waldschlösschen kennen gelernt hatte: die niedersächsische Version von Bonnie und Clyde. In einem Kombi voll billig importierter Waren tourten sie wochenlang über die Dörfer und verkauften an der Tür: Uhren aus Fernost, Gläser aus Italien, Gaskartuschen aus Frankreich. Sie schliefen in muffigen Pensionen und tranken bitteren Filterkaffee. Das Geld war knapp, die Freiheit unermesslich.

Kein Leben auf Dauer. Sie wurde schwanger. Die beiden gründeten eine Firma, deren Gründungsmythos dieser ist: Ihr Mann dachte den Kauf einer großen Marge Heizkörper konsequent zu Ende: „Wenn ich die Dinger importiere, dann kann ich sie auch gleich einbauen!“ Zu den Heizkörpern kamen Waschbecken, Brenner, Duschen und Klosetts. Und um den Reingewinn in die Höhe zu treiben: Swimmingpools.

Remmy und ihr Sohn, ein Kapitel für sich. Ihr späterer Lebensgefährte klagt: „Zuerst kam Bernd, dann kam wieder Bernd und nach Lichtjahren einmal ich!“ Gab es Ärger in der Schule, saß sie beschwichtigend im Büro des Rektors. Explodierte bei Schießübungen im Keller der Feuerlöscher, verwischte sie alle Spuren. Sie versteckte ihn vor der Verkehrs-Polizei und deckte seine Schäferstündchen mit der Tochter eines streng katholischen Elternpaares. Wehe aber eine seiner Freundinnen fand ihn nicht mindestens so hübsch, wie sie ihn fand.

Nach dem Tod ihres Mannes 1997 verkaufte sie das Haus in Osnabrück und zog nach Berlin. Hier unterhielt die Firma eine Dependance. An die Stelle von Swimmingpools trat Solartechnik. Der Sohn führte das florierende Geschäft – und sie gründete mit einer Freundin die Antik-Remise und lernte, wie man Stühle lackiert und Schränke abflammt.

Im Delegieren war sie eine Königin: „Würde es dir was ausmachen …“ „Meinst du, es wäre möglich …“ „Könntest du bitte mal …“ Ob eine Tüte Milch zu kaufen war, oder ein paar Schrauben, ob eine Tischdecke zu kürzen oder ein Brief einzuwerfen war – jeder aus dem Haus, der an der Remise vorbeikam, wurde zu Hilfsdiensten verführt. Von Natur aus war sie eigentlich so kumpelhaft wie Marilyn Monroe in „Manche mögen’s heiß“. Aber verscherzte es sich jemand mit ihr, dann verwandelte sie sich in den unversöhnlichen Käpt’n Ahab.

In poppigen, grellen Farben malte sie bis zum Schluss. Wie es sich für eine Künstlerin gehört, blieb das letzte Werk unvollendet. Stephan Reisner

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