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Alexander Terboven (li.) und Max Gössler sind die Gründer und Geschäftsführer von „intakt!“.

© Kitty Kleist-Heinrich

Renaissance der Schallplatte: Berlins einziges Vinylpresswerk hat eröffnet

In Marienfelde heißt es jetzt: Bitte pressen! Zwei Schallplattenliebhaber haben ein Vinylwerk eröffnet, das sich vor allem an kleine Labels richtet.

Schallplatten sammeln ist fast schon eine eine Wissenschaft. Die Art der Pressung, der Zustand der Platte, ihre Seltenheit – Fans fahren für Vinyl um die halbe Welt, zu Messen und in verwinkelte Läden, immer auf der Suche nach Raritäten und Exoten, die etwa die Nadel – anders als sonst – von innen nach außen zum Rand laufen lassen oder deren Oberfläche nicht schwarz, sondern im Marmormuster schillert. Auch das Pressen von Schallplatten kann eine recht umständliche Angelegenheit sein. Das wird bei einem Besuch in einem Marienfelder Hinterhof deutlich. Dort hat in der vergangenen Woche „intakt!“ eröffnet, Berlins einziges Presswerk für Schallplatten. Die ersten Aufträge sind schon in Arbeit.

Eine Frage des Gefühls

Viel Fingerspitzengefühl braucht es, um Platten zu pressen, das geht schon bei den Etiketten los. Einfach aufkleben? Schön wär's. Im Ofen der Firmenküche liegen keine Tiefkühlpizzen, sondern Etiketten. „Das Papier muss ganz trocken sein, bevor es in der Schallplattenpresse landet“, erklärt Max Gössler, einer der beiden Betreiber des Presswerks, „sonst wird es auf der Platte wellig“. Ein spezieller Umluftofen für Etiketten soll deswegen die nächste Anschaffung der kleinen Firma sein.

Max Gössler ist eigentlich Volkswirt, sein Partner Alexander Terboven Wirtschaftsingenieur, nun sind sie Spezialisten für die Herstellung von Schallplatten. Die beiden sind Anfang 30, nebenbei DJs, veranstalten Partys und Gössler betreibt außerdem ein Label für elektronische Musik. Natürlich sind die beiden Schallplattenliebhaber, wie so viele in der Szene, und wenn Gössler etwas auf seinem Label Somedate veröffentlicht, dann ausschließlich auf Vinyl. Die Auflagen sind gering, viel Geld lässt sich damit nicht machen, das Ganze ist eine Liebhaberei.

Die Zeichen stehen auf Vinyl

Dass Max Gössler nun in dieser kleinen Industriehalle in Marienfelde steht und sich um ihn herum Testpressungen stapeln, ist eine Entwicklung aus der Not heraus: Es dauerte immer länger, bis die paar Schallplatten, die er herstellen ließ, aus dem Presswerk zu ihm kamen. „Irgendwann waren es Wartezeiten von vier Monaten.“ Denn die wenigen Firmen, die in Europa noch Schallplatten produzieren und die den Boom der CD und des digitalen Musikgeschäfts überlebt haben, sind mittlerweile schlichtweg überlastet.

Vinyl boomt und ist somit auch wieder ein gutes Geschäft für große Labels. So gut wie jedes neue Album erscheint heute auch wieder in Schallplattenform. Außerdem werden, sagt Gössler, große Aufträge bevorzugt behandelt, kleine Plattenfirmen haben das Nachsehen. So kamen er und Alex Terboven vor etwa eineinhalb Jahren auf die Idee, ein eigenes Presswerk aufzubauen, das sich explizit an kleine Plattenfirmen richtet, an „Indielabels, denen im Normalfall Auflagen von 300 bis 400 Schallplatten genügen.“

Die Welt als Scheibe. Die Produktion erfordert Fingerspitzengefühl.
Die Welt als Scheibe. Die Produktion erfordert Fingerspitzengefühl.

© Kitty Kleist-Heinrich

Etwa eine halbe Millionen Euro haben die beiden für zwei Pressen, einen Dampfkessel und einen Kühlturm investiert. 20 Aufträge liegen schon in der ersten Woche vor. „Ein guter Start“, sagt Max Gössler. Noch hätten sie Kapazitäten frei, etwa 30000 Schallplatten können er und sein Geschäftspartner monatlich pressen. Der Vinylhype, der seit mehreren Jahren Läden und Onlineshops neue Kunden beschert, könnte in Marienfelde also einen nachhaltigen Effekt haben – zunächst beginnt „intakt!“ jedoch mit nur zwei Mitarbeitern, nämlich den beiden Gründern.

1000 Platten pro Schicht

Und die befüllen nun täglich den Extruder, eine Art Schmelzmaschine mit Vinyl-Granulat. Das wird erwärmt, bis der Extruder eine kuchenförmige PVC-Masse ausspuckt. Die wird in die Presse gelegt, zusammen mit zwei Etiketten und der Pressmatrize, die die Rillen ins Vinyl drückt. Mit der Kraft von 120 Tonnen wird das Plastik plattgedrückt. An der Schneidemaschine werden überflüssige Reste am Rand des Rohlings entfernt. Dann wird geprüft, ob die Etiketten richtig sitzen, schließlich ist die Schallplatte abspielbereit. „Ein geübter Arbeiter schafft in einer Acht-Stunden-Schicht die Herstellung von etwa 1000 Schallplatten“, sagt Alexander Terboven. Jede einzelne Platte wird handgefertigt und ist – mit etwas Glück – bald ein gesuchtes Sammlerstück.

Noch vor Kurzem war es übrigens gar nicht so einfach, überhaupt an Schallplatten-Pressen heranzukommen. Die Produktion der Maschinen wurde vor gut dreißig Jahren weltweit eingestellt, weil die Vinyl-Ära für beendet erklärt wurde. Doch vor zwei Jahren begann eine findige kleine Firma in Aachen Vinylpressen herzustellen. Neulich erst hat Jack White, Ex-Sänger und Gitarrist der Band The White Stripes, ein paar der deutschen Maschinen bestellt und nach Detroit bringen lassen, wo er nun ein Presswerk betreibt. Die gleichen Geräte, die Jack White nutzt, stehen auch in Marienfelde.

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