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Berlin: René Hoffmann (Geb. 1947)

Wer ihn ermahnt, bekommt ein "Soso, mein Führungsoffizier" zu hören.

In sein Urnengrab fand ein Buch seinen Weg. „Über die Unsterblichkeit“ von Arno Schmidt. Ein schwieriger Dichter, den René sehr verehrte. Die kleine Trauergemeinde bestand aus Kreuzberger Bibliotheksangestellten und einem Pfleger. Keine Angehörigen. Die hatte er auf seinem Lebensweg irgendwie verloren. So wie seine Gesundheit und seine Lebensfreude. Was blieb, war die Welt der Literatur und die Welt der Krankheit, die seine letzten zehn Lebensjahre bestimmte. In dieser Welt hatten andere Menschen wenig Raum.

Ein Büchernarr, der viel redete, vor allem über seine Lektüreerfahrungen. Von sich selbst gab er wenig preis. Im Saarland als Sohn eines Försters geboren, katholisch mit Nebenwirkungen, Ministrant. Sein Verhältnis zur Religion kühlt später deutlich ab. Kein Trost. Er lernt Elektriker und zieht Ende der Sechziger nach West-Berlin, wo Facharbeiter gesucht werden. Eintritt in die SPD, Betriebsrat bei Siemens. Er liest besessen, seine Bibliothek wächst. Irgendwann die Ernüchterung. Raus aus dem Trott, ein Neubeginn, den eine kleine Erbschaft ermöglicht. René geht für einige Jahre in den Entwicklungsdienst. Afghanistan und Nepal sind seine Einsatzsorte, über diese Erfahrungen verliert er wenig Worte. Nur als die Taliban 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan sprengen, bricht die Wut aus ihm heraus. Als wäre ihm ein Teil seiner Geschichte geraubt worden.

Zurück in Berlin, findet er nicht mehr ins normale Berufsleben zurück – bis kurz vor der Wende, da findet er Halt in der Kreuzberger Stadtbibliothek am Kottbusser Tor. Diese Welt wird er nicht mehr freiwillig verlassen, ihr bleibt er mit und ohne Entgelt verbunden. Wenn er keine ABM hat, arbeitet er ehrenamtlich. Das Fahrgeld spart er sich vom Mund ab. Die Mitarbeiter, nicht nur die weiblichen, schätzen und respektieren ihn. Er ist charmant und hilfsbereit, stellt den Kunden nach ihren Vorlieben Bücherpakete zusammen, organisiert den beliebten Büchertrödel, macht und tut. Manchmal schießt sein Aktionismus etwas über das Ziel hinaus. Wer ihn ermahnt oder kritisiert, bekommt ein „Soso, mein Führungsoffizier“ zu hören.

Der Mauerfall ist sein Glücksfall. Er lernt Suse kennen. Sie ist 15 Jahre jünger und stammt von der Insel Usedom. Schnell ziehen sie zusammen in eine kleine Kreuzberger Wohnung, die kurz darauf mit seiner Bibliothek und der ausufernden Sammlung von DDR-Alltagsgegenständen ausgefüllt ist. Ein privates Museum der Dinge – was die anderen wegwerfen, hebt er auf. Einiges davon wird in den Folgejahren in der Bibliothek und im Bezirksamt ausgestellt. Ostalgie ist noch nicht erfunden; keine große Resonanz. Die beiden reisen, vor allem nach Prag, das ist nicht teuer, aber schön. Suse lernt Erzieherin, er ist der Hausmann. Ein kleines, bescheidenes Glück. Nur der Kinderwunsch erfüllt sich nicht.

2000 dann der Zusammenbruch. Er ist mit Suse zu Besuch auf Usedom und fällt einfach um. Ein Aneurysma in seinem Kopf ist geplatzt. Er wird operiert, mit Erfolg. Glück gehabt? Nicht wirklich. Denn eine wirkliche Erholung gibt es nicht. Und Suse bekommt es mit der Angst. Ein Pflegefall? Sie verlässt ihn und die zwei Katzen.

Ihm bleiben seine Bücher und die Dinge, durch die er ihre verronnene DDR-Welt besser verstehen wollte. Lähmungen und Sprachfindungsstörungen zermürben ihn. Er verlässt die Wohnung nur noch ungern, ist in der Bibliothek nicht mehr belastbar. Sein Zufluchtsort ist nun das Magazin ohne Publikumsverkehr. Um Alltägliches kümmert er sich kaum, Strom und Gas werden abgestellt. Keine Reaktion. Die Kollegen sorgen sich, unterstützen ihn mit Lebensmitteln, Kleidung und Behördenschreibkram. Er erhält Pflegepersonal. Aber ob er die Hilfe noch will?

2006 scheint es ihm besser zu gehen. Er sagt dem Pfleger am Wochenende ab. Ein mysteriöser Unfall passiert in seiner Wohnung, vielleicht eine Verpuffung. Zwei Tage lang liegt er da mit schweren Brandverletzungen. Nach der Reha kommt René in ein Pflegeheim. Er spricht kein Wort mehr. Allein der Genuss einer Tasse alkoholfreien Biers scheint ihm Freude zu bereiten. Irgendwann verweigert er auch die Nahrung. Eine Magensonde ist in den bleibenden Jahren die schmale Verbindung mit dem Leben.

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