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Die Berliner Domengel sollen restauriert werden.

© dpa

Restauration am Berliner Dom: Die Domengel wollen nicht fliegen

Die beiden Figuren „Wahrheit“ und „Gnade“ an der Fassade des Doms sind vom Wetter gezeichnet. Nun sollen sie abmontiert und restauriert werden – doch das ist viel schwieriger als gedacht.

Sie wollten einfach nicht. Da konnte man noch so viel bohren, hämmern, schneiden, glühen und rütteln. Die beiden Engelsfiguren „Wahrheit“ und „Gnade“, die am Donnerstagmorgen von ihrem Platz auf zwei 17 Meter hohen Säulen am Westtor des Berliner Doms entfernt werden sollten, um endlich restauriert zu werden, rührten sich partout nicht von der Stelle. Flugangst wird es nicht gewesen sein – das kann man den fünf Meter große Engeln aus Kupfer wahrlich nicht unterstellen. Wohl aber schwere Beine und müde Knochen, wie sich herausstellte.

Um 9 Uhr, als die Restauratoren in ihren roten Kran kletterten und zu den Engeln hinauffuhren, sah alles noch gut aus. Der „Gnade“ soll es zuerst an den Kragen gehen. Die tonnenschwere Dame mit kupfergrünen Flügeln und verrußtem Kleid bekommt einen Gurt um den Nacken geschnürt und soll dann von ihrem Sockel gehoben werden. Dombaumeisterin Charlotte Hopf beäugt das Treiben in luftiger Höhe gelassen von den Kirchenstufen. Schließlich ist es nicht die erste Sanierung des Doms, die sie miterlebt. Die Arbeit an dem pompösen Gebäude, das Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gab, höre nie auf, sagt Hopf. „Es ist ein großes permanentes Rumschrauben.“

Während das Kirchenhaus Anfang Juni den 20. Jahrestag seiner Wiedereinweihung feierte, geht die Sanierung der Fassaden erst richtig los. Die 35 Figuren der Engel und Apostel am Kranz der Kuppel und um den Torbogen am Westtor leiden alle an der gleichen Krankheit. Tag und Nacht der Witterung ausgesetzt, dringt das Wasser durch die Kupferhüllen und zersetzt das Stahlskelett oder den Sandstein im Inneren. „Im Fußbereich sammelt sich der Morast“, erklärt Hopf. Deswegen müssten die Verankerungen der Skulpturen erneuert und die Abwässerkanäle in ihren Füßen verbessert werden. Die Kosten für ihre Restauration werden im niedrigen sechsstelligen Bereich liegen, prophezeit Hopf. Sie sind die ersten, die vom Westtor entfernt werden, aber „die vier Evangelisten unter den Engeln wird es in naher Zukunft auch treffen“. Allerdings zieren die Figuren schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts den Torbogen, man könne stolz sein. „Dass sie bereits mehr als 100 Jahre dort oben sind, spricht für die Konstruktion“, sagt die Baumeisterin. „Ich hoffe, dass wir an dieses Alter nach der Restauration auch rankommen.“

Am Nachmittag die Entscheidung: "Wahrheit" bleibt vorerst, wo sie ist

Dafür müssen sie aber erstmal runter vom Sockel. Neben Hopf steht der Archivar des Doms, Yves Pillep. Er kennt die „Wahrheit“, die mit einer Fackel den Weg leuchtet, und „Gnade“, die ihre Hand zum Segen erhebt, besser als jeder andere. Zwar entwarf sie der Bildhauer Wilhelm Wiedemann, aber es war Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich, der über die Gestaltung jeder Figur entschied. Der Archivar zückt ein Dokument aus seiner Tasche und liest mit staatsmännischer Stimme vor: „Nicht zu weit ausladende Bewegungen mit den Armen. Strenger Faltenwurf und Fall der Gewänder...die Flügel der Engel eleganter, leichter.“ Es ist die Kopie einer Verfügung von 1897. Gezeichnet „IR“, Imperator Rex. „Man kann sich gar nicht vorstellen“, sagt Pillep, „dass sich ein Regierungschef heute solchen Details widmet.“

Die Restauratoren versuchen derweil immer noch, die erste Figur von ihrem Sockel und dem Stahlrohr, auf dem sie steht, zu befreien. Um kurz vor 12 dann die Ernüchterung. Der Kran senkt sich, Restaurator Alexander Löwe springt heraus und eilt zu Baumeisterin Hopf. „Dort oben ist alles verspannt und verschraubt“, sagt Löwe. Der Innenraum ist nicht hohl wie angenommen, sondern verstopft mit Beton, der vermutlich während des Wiederaufbaus von 1975 bis 1985 hinzugekippt wurde. „Für Denkmalpflege gibt’s nun mal kein Handbuch“, sagt Löwe. „Da geht nichts ruckzuck.“

Erst am Nachmittag ist es dann soweit. Löwe und seine Kollegen legen das Rohr frei und müssen es, entgegen des urspünglichen Plans, duchschneiden. Um 15.30 zittert die „Gnade“ für einen Moment, erhebt sich vom Sockel und segelt langsam, ganz langsam vom Torbogen bis vor die Domstufen, wo sie für die Weiterfahrt in die Werkstatt behutsam verpackt wird. Mit so viel Arbeit hatte Baumeisterin Hopf nicht gerechnet. „Bevor wir den anderen Engel entfernen, werden wir erst einmal das Gutachten der „Gnade“ abwarten, um abzuschätzen, was wir machen.“ Solange wird die „Wahrheit“ ohne ihre Schwester am Tor wachen. Sorgen muss man sich um sie kaum machen. Auch sie sitzt fest im Sockel.

Kalle Harberg

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