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Berlin: Retter des Kulturgutes: Mit heißer Ware auf das diplomatische Parkett

Eberhard Diepgen lässt sich heute in Moskau feiern: als Retter von wertvollem Kulturgut. Der Regierende Bürgermeister übergibt historische Dokumente aus der russischen Zarenzeit, die 1995 bei einem spektakulären Raub aus dem Petersburger Historischen Staatsarchiv verschwanden.

Eberhard Diepgen lässt sich heute in Moskau feiern: als Retter von wertvollem Kulturgut. Der Regierende Bürgermeister übergibt historische Dokumente aus der russischen Zarenzeit, die 1995 bei einem spektakulären Raub aus dem Petersburger Historischen Staatsarchiv verschwanden. 3000 Schriftstücke hatten die Diebe mitgehen lassen, darunter eigenhändig unterschriebene Erlasse der russischen Zaren, wie eine Anweisung von Katharina I., ihr eine Aufstellung über Reisekosten des Hofes vorzulegen und ein Aktenvermerk Peters des Großen über eine Titelvergabe. Dokumente von unschätzbarem ideellen und materiellen Wert.

Die dreiköpfige Diebesbande träumte von Dollar-Millionen, denn der Markt ist gierig: Überall auf der Welt zahlen wohlhabende Sammler für Autographen von historischen Persönlichkeiten horrende Summen. Nach Expertenmeinung hätten die Stücke einen zweistelligen Millionenbereich erlösen können. "Wie viel das wirklich wert ist, hätte man erst erfahren, wenn sie wirklich versteigert worden wären", sagt Senatssprecher Michael-Andreas Butz.

Doch daraus wurde nichts, denn die Diebe suchten sich ausgerechnet Berlin aus, um einen Teil der Beute zu versilbern. Der Kopf der Bande, Wladimir F., bot im Mai 1995 die heiße Ware dem in Berlin alteingesessenen Autographenhandel J. A. Stargardt an. Seniorchef Klaus Mecklenburg: "Dass uns solche Dokumente angeboten werden, ist völlig normal. Unnormal war die Menge." Mecklenburg wurde misstrauisch, fragte bei den russischen Archiven nach und schaltete auch die Kunstfahnder des Berliner Landeskriminalamtes ein.

Ideeller Coup für Berlin

"Wir mussten schnell handeln, um das gestohlene Material zu sichern", sagt eine LKA-Beamtin. Schon nach knapp vier Wochen diskreter Ermittlungen griff man zu. Gleichzeitig in Berlin und Petersburg durchsuchte die Polizei Wohnungen und nahm Tatverdächtige fest. Bei Wladimir F. fand die Berliner Polizei 178 wertvolle historische Bücher und 248 Einzeldokumente, die jetzt zurückgegeben werden. Dass es über fünf Jahre dauerte, liegt an den bürokratischen Hürden solch internationaler Polizeiarbeit. Unter anderem musste die Berliner Staatsanwaltschaft in einem umständlichen Verfahren die Rechte des Eigentümers feststellen und die Ergebnisse im Gerichtsverfahren gegen die Täter in Russland abwarten. Die gemeinsame Fahndung war die erste große Bewährungsprobe für die telefonische Direktleitung zwischen Berliner und Moskauer Polizei, die Diepgen und sein Moskauer Amtskollege Luschkow im Rahmen der Städtepartnerschaft 1995 vereinbart hatten.

Nun wird der geplante materielle Coup zu einem ideellen Coup für Berlin, denn die hervorragende Zusammenarbeit mit der Polizei in St. Petersburg und die umstandslose Rückgabe der geraubten Dokumente ist sehr gut für das kulturpolitische Klima zwischen Berlin und Moskau. Bekanntlich lagern in russischen Museen, Bibiotheken und Archiven noch jede Menge deutsche Kunstgegenstände, die die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg wegschaffen ließ. Zwar hat die Duma, das russische Parlament, 1997 diese "Beutekunst" per Gesetz zu russischem Eigentum erklärt, allerdings gibt es Ausnahmen vom Gesetz. Vieles hängt vom guten Willen ab, da spielt die Atmosphäre eine wichtige Rolle. Das ganze Prozedere der Übergabe heute macht das Außergewöhnliche dieser Rückgabe deutlich. Senatsspecher Butz: "Der Regierende Bürgermeister will damit eine Geste setzen." Und an der hochkarätigen Delegation, die die Dokumente übernehmen wird - darunter der russische Außenminister und der Kulturminister - könne man sehen, "dass die Geste von den Russen verstanden wurde." Kultursenator Christoph Stölzl kommentiert: "Damit unterstreichen wir unsere Haltung, dass Kulturschätze von nationaler Bedeutung zurückgegeben werden sollten."

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