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Berlin: Revolution am Tapeziertisch

Die Initiative für ein Volksbegehren will den Senat stürzen. In der Stadt sammelt sie Unterschriften. 4200 sind zusammengekommen

Die beiden Kreuzberger freuen sich, dass sie endlich mal ihre Unzufriedenheit ausdrücken können. „Es kann doch nicht sein, dass man immer bei denen spart, die sich nicht wehren können“, sagt Künstler Werner Mohrmann-Dressel (40) und setzt nach dem Einkaufsbummel in der Marheinekehalle seine Unterschrift auf die Liste. „Wir Bürger haben nur selten die Möglichkeit, uns zu äußern – da muss man einfach mitmachen“, sagt seine Frau Karin Dressel (36) und unterschreibt ebenfalls. Michael Prütz, Initiator der Initiative „Volksbegehren Soziales Berlin“, strahlt an diesem Samstagvormittag kämpferischen Optimismus aus. „Es läuft ausgezeichnet“, freut sich der 51-jährige Versicherungsmakler, der einst für die PDS kandidierte, die Partei vor zwei Jahren aber aus Enttäuschung über den Sparkurs verließ. Fast jede Minute setzt ein weiterer Kreuzberger seine Unterschrift unter die Listen, die Prütz und seine Mitstreiter auf ihrem Tapeziertisch liegen haben.

Die Einkaufsbummler sind sichtlich angetan von der Chance zum Protest, wenn auch mehr aus Prinzip als wegen der Hoffnung, eine andere Regierung mache alles besser. „Es sollte mehr sozialen Zusammenhalt geben“, findet Monteur Bernd Ludwig (46). Dass CDU oder FDP dafür mehr tun würden als SPD und PDS, das glaube er allerdings auch nicht. Dann verabschiedet er sich mit einem gebrummelten „Hau rin“ und stiefelt in der Bikerkluft der „Flying Demons“ davon. Unternehmensberater Martin Trost (38) begründet seine Unterschrift mit dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit: „Die Wahrheit liegt immer in der Mitte, dahin müssen wir die Politik zurückbringen.“

Auch in Mitte, Pankow, Neukölln und Charlottenburg ist die Resonanz am Sonnabend nach Auskunft von Michael Prütz gut. 780 Unterschriften zählt er am Ende der mehrstündigen Sammlung. Insgesamt hätten damit bereits mehr als 4200 Berliner dafür gestimmt, das Abgeordnetenhaus aufzulösen und den Senat neu zu wählen. Benötigt werden in der ersten Phase des Volksbegehrens innerhalb eines halben Jahres 50000 Unterschriften.

Allerdings war gestern auch zu merken, wie schwierig es bisweilen ist, die Bürgerbewegung zu organisieren. So gab es zwischen Organisator Prütz und seinen Mitstreitern Kommunikationspannen, die dazu führten, dass zum angekündigten Zeitraum nur wenige Unterschriften-Sammelposten besetzt waren. In Mitte stand die Initiative statt der geplanten vier nur zwei Stunden am Alexanderplatz. In Charlottenburg wurde die Aktion spontan vom S-Bahnhof in die Wilmersdorfer Straße verlegt, ohne dass Prütz davon wusste. Und in Neukölln hockten die Aktivisten vom Hermannplatz um 12.15 Uhr gemütlich auf einer Parkbank und sonnten sich, den zusammengeklappten Tapeziertisch an ihrer Seite. Gefragt, wann es mit der für 11 Uhr angekündigten Sammlung losgehe, erklärten sie, man müsse erst den Tisch aufbauen, und das könne dauern.

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