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Berlin: Revolution nach Vorschrift

Der Aufruhr verläuft bei den Preußen nach festem Fahrplan. Ort und Zeit sind deshalb in Berlin seit 15 Jahren unveränderliche Daten: Revolution ist am 1.

Der Aufruhr verläuft bei den Preußen nach festem Fahrplan. Ort und Zeit sind deshalb in Berlin seit 15 Jahren unveränderliche Daten: Revolution ist am 1. Mai ab 18 Uhr in Kreuzberg. Das Ritual der Gewalt im Steinwurf-Dreieck zwischen Oranienplatz, Kottbusser Tor und Mariannenplatz gleicht dem Kriegstanz eines vom Aussterben bedrohten wilden Volksstammes. Der Erfolg der Operation unter dem Kommandon „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ misst sich am Ausmaß der angerichteten Zerstörung.

Dem Einsatzbefehl zur traditionellen Krawallschlacht auf Kreuzbergs Straßen folgen linksautonome Randalierer ebenso gehorsam wie ihre verhassten Gegner von der Polizei. Ordnung muss schließlich sein. Und wie es sich gehört für einen ordentlichen Krawall, der von den Akteuren durchorganisiert ist wie ein FDP-Parteitag, folgen auch die revolutionären „Maifestspiele“ einem strengen Regelwerk. Nachzulesen ist es in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Interim“ – einem „der ältesten linksradikalen Projekte der Stadt“, natürlich mit Vereinsstatus.

Die eben erschienene Sondernummer zum 1. Mai gibt militanten Demonstranten Tipps zur effektiven Gewaltanwendung. Piktogramme illustrieren falsches und richtiges Verhalten gegenüber den uniformierten Gegnern: Nicht wegrennen, sondern ran an den Feind. Von Alkohol und Drogen wird abgeraten, denn beim Flaschen- und Steinewerfen ist Zielsicherheit gefragt – und damit alle Gewalt kein böses Nachspiel hat, ist auf Vermummung zu achten.

Zum bevorstehenden 15. Jahrestag der schlagfertigen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht lässt die „Interim“ die vergangenen Straßenschlachten Revue passieren – inklusive Bilanzen von Verletzten, Festnahmen und angerichteten Sachschäden. Eine Chronik, „wichtig für alle, deren Erinnerungen langsam verblassen oder die zu jung sind, damals dabei gewesen zu sein“, heißt es dazu. Gemeinsame Erinnerungen an den revolutionären Kampf verbinden die Generationen.

Dabei spielt der Sinn der alljährichen Proteste offenbar eine zunehmend untergeordnete Rolle. Auf die Frage, ob die Randale in Kreuzberg revolutionär sei oder nicht, antwortet Anke vom Antifaschistischen Aktionsbündnis im Interim-Interview: „Was ist schon revolutionär?“ Die Kinder haben die Revolution längst gefressen. Stephan Wiehler

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