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Berlin: Richard Schulze (Geb. 1905)

Mechaniker tragen weiße Kittel, Schlosser müssen im Blaumann gehen.

Weiß war sein Haar, weiß waren auch Hemd und Dinnerjackett, als Richard Schulze die Glückwünsche zu seinem 104. Geburtstag entgegennahm. Als habe er es seiner Mutter noch einmal beweisen wollen, dass er es geschafft hat. Sie hatte damals, 1919, bestimmt: „Mechaniker musst du lernen. Mechaniker haben einen weißen Kittel, Schlosser müssen im Blaumann gehen.“ Einhundert junge Männer hatten sich um die Lehrstelle bei Siemens beworben, fünf wurden genommen, darunter Schulze. Eigentlich war er zu klein für den Job, doch der Meister meinte: „Du bist zwar winzig, aber deine Mutter ist eine gute Frau.“ Und was selbst die Mutter, Kriegswitwe und Schraubenlackiererin bei Siemens, nicht wettmachen konnte, besorgte ein Schemel, den man ihm vor die Werkbank stellte.

Richard Schulze schraubte und feilte und sagte über diese Zeit später: „Ich war ein Streber.“ Vornehmer drückte es ein Arbeitszeugnis aus: „Er war strebsam und fleißig. Sein sittliches Betragen war lobenswert.“ Von den Frauen ließ sich Richard Schulze nicht ablenken. Es gab Spannenderes, zum Beispiel in der Versuchsabteilung von Siemens. Schulze war dabei, als sie dort die „Lichtzeichenverkehrsanlage“ für den Potsdamer Platz entwickelten. Später nannte man so etwas „Ampel“.

Irgendwie schaffte er es, immer am richtigen Fleck zu sein. Zum Beispiel bei dieser Fortbildung in den Stuttgarter Bosch- Werken. Da sah er während einer Pause auf dem Hof, wie sich Robert Bosch höchstpersönlich anschickte, eine 10- mm-Schraube aufzuheben. Schulze war schneller, überreichte die Schraube demütig, aber selbstbewusst und lernte dabei zwei wichtige Lektionen: Dass die kleinen Dinge wichtig sind. Und: „Der Einspritztechnik gehört die Zukunft.“ Das gab ihm Bosch bei der Gelegenheit mit auf den Weg.

Zurück in Berlin, breitete er einen Stadtplan aus und trug Autowerkstätten ein. Dann nahm er einen Zirkel und suchte einen Platz, an dem eine Werkstatt fehlte. In der Eberswalder Straße eröffnete er 1932 die 119. Auto-Elektro-Werkstatt Berlins. Später kaufte er ein Grundstück in Weißensee. Schulze ließ seine Kunden die Rechnungen in Raten begleichen, in 40-Pfennig-Schritten – dank seiner Kenntnis um die bedeutenden kleinen Dinge.

Die großen kamen später: Reichspost und Reichsbahn wurden seine Kunden. Er hatte sich auf Einspritzpumpen spezialisiert, eingedenk des Robert Bosch und gemäß einer Erkenntnis, die er auf der Automesse 1935 verkündet hatte: „Es wird der Tag kommen, an dem auch Personenautos mit Dieselmotoren fahren.“ So avancierte er in einer Zeit, als es die Floskel vom „personal branding“ selbst im Englischen noch nicht gab, zum „Pumpen-Schulze“. 25 Lehrlinge bildete er aus, bis zu 55 Leute standen in seinen Diensten.

Während des Krieges reparierte Schulze Lastwagen und Panzer in Paris und Vilnius. Seine Werkstatt in Weißensee überstand den Krieg. Von Parteien und Gewerkschaften hielt er sich fern, Fleiß war seine Weltanschauung. Was der Sozialismus taugt, lernte er, als die Ost-Mark immer billiger wurde und Ersatzteile nur noch im Westen zu bekommen waren. So zog er erst an die Potsdamer Brücke, später in die Pohl-, dann in die Lützowstraße.

1930 hatte er die „Befähigung als Meister des Elektromaschinenbauer- Handwerks (Auto-Licht-Zündung)“ erlangt, wurde später „stellvertretender Vorsitzender des Gesellenprüfungsausschusses“ sowie „Bezirksmeister der Kfz-Innung“, darüber hinaus „Sachverständiger für das Kraftfahrzeug-Elektriker-Handwerk“. Er war Träger der „Silbernen Ehrennadel der Handwerkskammer Berlin“ sowie „Ehrenmitglied der Kfz-Innung“, und als dieser die Ehrentitel ausgingen, schufen sie einen neuen: den „Ehernen Meisterbrief“ zum 75-jährigen Jubiläum.

Über sein Privatleben ist folgender Satz überliefert: „Mein Beruf war mein Leben.“ Sein einziges Hobby war sein silbergrauer 280er Mercedes. Den hat er sehr gepflegt. Auto fuhr er bis in sein 99. Lebensjahr.

Er hatte auch eine sehr gute Freundin, 27 Jahre jünger. Die beiden hatten sich 1987 während eines Urlaubs bei Garmisch kennengelernt. Ein Vierteljahr später wagte er zu fragen, ob er sie vielleicht duzen dürfe. „Das hat mir gefallen, dass er nicht so aufdringlich war“, sagt die Dame.

Mit 101 baute er noch ein Haus in Dallgow samt Rosenbeet, Geräteschuppen und sehr aufgeräumtem Garten. Fotos zeigen ihn mit Karohut, weißer Hose, weißen Turnschuhen und Spaten, wie er ein Apfelbäumchen pflanzt. Den Rollstuhl, den er seit einem Sturz 2008 brauchte, hasste Richard Schulze von Herzen, während ihm der Herzschrittmacher, den er mit 102 bekommen hatte, eineinhalb Jahre lang gute Dienste leistete. Andreas Unger

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