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Architektur zum Kugeln: Riesenblase statt Stadtschloss

Ein Künstler will eine Riesenblase anstelle des Schlosses. Es ist nicht die erste gewagte Idee fürs Stadtbild.

Was wollte Ephraim Gothe (SPD) damit sagen? Vor seinem Abschied in den Urlaub hat der Baustadtrat von Mitte eine, nun ja, Alternative für den Schlossplatz herumgemailt. Eine „interessante Wendung“ der Debatte um den Ort nannte Gothe den Vorschlag des Berliners Rafael Horzon. Letzterer verkauft in seinem Laden in der Torstraße („Bitte beachten: Das Geschäft ist unregelmäßig geöffnet“) seit zwölf Jahren ein einziges Regalsystem aus MDF- oder Sperrholzplatten. Kunden mit geringem Einkommen erhalten Rabatt. Zum vierjährigen Firmenjubiläum präsentierte Horzon das Schuhregal „Horz IV“; perspektivisch will er Ikea & Co. „vom Markt verdrängen“. In Interviews und einem Buch mäandert er auf eine Weise zwischen Ernst und Ironie, dass man nicht immer weiß, woran man ist. In einer Mail an den Tagesspiegel – telefonisch sei er zurzeit nicht erreichbar – bittet er, ihn nicht als Künstler zu bezeichnen, sondern als Diplom-Ingenieur. Unter diesen Vorzeichen ist also die Glaskugel zu betrachten.

Mit ihren 500 Metern Durchmesser würde die Murmel mit dem Fernsehturm ein ähnliches Paar abgeben wie ein Luftballon neben einer Stricknadel. Anders als die Simulation vermuten lässt, ist es mehr als eine hohle Blase: Horzon will das „Deutsche Design Museum“ darin unterbringen. Bisher dominiere in Museen die Kunst, sagt Horzon. Doch anders als diese könne Design eine Gesellschaft verändern. Zur Omnipräsenz im Alltag komme das Design im weiteren Sinne – als Formung von Gesellschaften wie Diktatur oder Demokratie. Solche Überlegungen müsste das Museum leisten. Das Geld dafür sollte von dem am selben Ort geplanten Stadtschloss umgelenkt werden, das ja „niemand wirklich will“. Eine Kugel sei bekanntlich die physikalisch stabilste Form und daher auch in dieser Größe machbar, schreibt der Diplom-Ingenieur Horzon, der tatsächlich unter anderem mal Physik studiert hat. Fürs Frühjahr kündigt er einen Volksentscheid und eine „Simulation im Maßstab 1:2“ an.

Gothe äußert auf Nachfrage Sympathie für Horzon und dessen Idee. Keineswegs aber wolle er die Schlosspläne sabotieren, sagt der Stadtrat. Nach Lage der Dinge hat die Glaskugel also gute Chancen – auf einen Ehrenplatz in der Liste der architektonischen Luftschlösser. Gerade am Schlossplatz fördert ein Blick ins Archiv Reizvolles zutage: Erst wollten Architekten vom Palast der Republik die Bodenwanne retten, um sie als Schwimmbad zu fluten. Dann präsentierte das Büro Graft einen See, der bis an den Fernsehturm schwappt. Zwei andere Kreative ersannen ein Gewässer fürs Tempelhofer Feld – und traten in Konkurrenz zu jenem Architekten, der dort einen 1071 Meter hohen Berg auftürmen lassen wollte. Gäbe es den, hätten wir in Berlin gestern wohl den ersten Schnee gehabt. Doch so bleibt es beim Schnee von gestern: Noch vor gut fünf Jahren stritten zwei Riesenrad-Konsortien um den besseren Standort. Schon 80 Jahre zuvor sollte übrigens an der Friedrichstraße „Berlins höchstes Turmhaus“ errichtet werden. Heute steht dort das abgebrochen wirkende Spreedreieck. Wenn Horzons Designmuseum Ecken hätte, könnte man den düsteren Büroklotz in die hinterste verfrachten.

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