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Ganz in Weiß. Die Berliner Repräsentanz der Robert-Bosch-Stiftung in der Französischen Straße 32 in Mitte.

© Robert-Bosch-Stiftung

Robert Bosch Academy: Ein Haus voller Geschichten

Die Robert-Bosch-Stiftung hat in der Berliner Repräsentanz ihre neue Academy eröffnet. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Gebäude in der Französischen Straße 32 in Mitte ist eng mit der Historie der Stadt verwoben.

Am Anfang war der Garten. Man kann sich das heute im Anblick der weißen, fünfgeschossig sich auftürmenden Fassade des Hauses Französische Straße 32 in Mitte nicht mehr recht vorstellen, dass es auf dem Grundstück einst grünte und blühte, aber so war es. Im Jahre 1815 hatte das Bankhaus Mendelssohn & Co. seinen Sitz in die Jägerstraße verlagert, das Grundstück zog sich anfangs noch hoch bis zur Französischen Straße und endete dort in einem Garten. Der erschien den Mendelssohns bald entbehrlich, und so wurde der nördliche Teil 1831 abgetrennt und die Französische Straße 32 als separater Baugrund ausgewiesen.

So gesehen, knüpft der Dachgarten, der beim Umbau des denkmalgeschützten Gebäudes 2011/12 durch die Robert-Bosch-Stiftung angelegt wurde, ein wenig an seine Ursprünge an, erinnert gleichsam in luftiger Höhe an die historische Stadtstruktur. Und der gläserne Steg, der seitdem die beiden auf den Seitenflügeln angelegten Gartenhälften verbindet, ist nicht nur ein hübsches architektonisches Detail, sondern symbolisiert gleichsam den Brückenschlag in die Vergangenheit wie auch vor allem die globalen „Brücken“, die die Stiftung nicht zuletzt mit ihrer soeben neueröffneten Robert Bosch Academy zu bauen unternommen hat.

Aber wer die Geschichte des Ortes erzählen will, muss eigentlich noch früher ansetzen, beispielsweise am 8. November 1685. Damals erließ Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, das Edikt von Potsdam, lud damit die in Frankreich verfolgten Hugenotten nach Brandenburg ein, sich hier niederzulassen, ihre Religion ohne Repression auszuüben und nebenbei dem vom Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Brandenburg zu neuem Aufschwung zu verhelfen. Rund 20 000 Menschen folgten dem Ruf, in Berlin ließen sich viele in der späteren Französischen Straße nieder, die daher 1706 offiziell ihren an die Neu-Berliner erinnernden Namen erhielt.

Der erste Bauherr: ein Maurermeister

Zurück zum noch unbebauten Grundstück Nr. 32. Auf ihm errichtete 1832/33 der Mauermeister Carl Ludwig Schüttler, ein sehr geschäftstüchtiger, vier Jahre später etwa auch in der Bendlerstraße in Tiergarten aktiver Bauherr, ein dreigeschossiges Wohnhaus mit Seitenflügeln und einem zweigeschossigen Quergebäude – letzteres ein Gebäudeteil, für den sich in Berlin später, zur vielfachen Verwirrung wohnungssuchender Zuzügler, der Name Gartenhaus eingebürgert hat.

In alten Stadtpanoramen, etwa dem, das der Leipziger Kupferstecher Adolf Eltzner 1886 „aus der Vogelschau aufgenommen und gezeichnet“ hat und das sich im Bestand der Berliner Staatsbibliothek befindet, ist die Französische Straße mit ihrer alten Bebauung recht gut zu erkennen. Die Nummer 32 fügt sich demnach ein in eine ganze Reihe ähnlicher Gebäude, und wenngleich solche Panoramen im Detail nicht immer allzu präzise gewesen sein dürften, deutet Eltzners Darstellung doch auf ein eher funktionales, ohne große ästhetische Ansprüche entworfenes Haus hin – ein Eindruck, den ein weiteres Vogelschau-Bild der Staatsbibliothek, im Jahr 1900 von einem unbekannten Künstler geschaffen, bestätigt.

In der Französischen Straße werden im März 1848 Barrikaden errichtet

Doch so schlicht das Ur-Haus der heutigen Repräsentanz der Robert-Bosch-Stiftung auch gewesen sein mag – es hatte doch schon damals wie heute eine attraktive Adresse, nicht weit vom Schloss als dem alten politischen und gesellschaftlichen Zentrum der Stadt – mit allen Höhen und Tiefen, wie sich schon 15 Jahre später, während der 48er Revolution, zeigen sollte. Auch die Französische Straße durchwehte damals Pulverdampf, wie man beispielsweise im Tagebuch des Diplomaten und Autors Karl August Varnhagen von Ense vom 18. März 1848 nachlesen kann: „Auch in meiner Wohngegend regte sich schnell der Eifer zum Barrikadenbau; von den Linden heimgehend, sah ich schon alles an der Arbeit, um nicht ausgesperrt zu werden, musste ich eilen, nach Hause zu gelangen, wo die Tür schon verschlossen war. Rechts nach der Jägerstraße, links nach der Behrenstrasse, vorwärts in der Französischen Straße, deren ganze Länge man von meinen Fenstern aus übersehen konnte, stiegen rasch die Schutzwehren empor, hinter denen wir uns bald wie in einer Festung abgeschieden fanden. Einige wohlgekleidete junge Leute, dem Ansehen nach Studenten, gaben Anleitung und Befehl, eine gemischte Menge, Hausknechte, Bürger, Alt und Jung, waren eifrig am Werk, Droschken und Wagen wurden angehalten und umgestürzt, die Rinnsteinbrücken und Pflaster aufgerissen, Fässer und Kästen herbeigeholt, ein in Bau begriffenes Haus lieferte Balken, Bretter und Ziegel; auf die Dächer der Eckhäuser häufte man einen großen Vorrat von Pflastersteinen, auch Kloben wurden hinausgeschleppt, um sie von der Höhe auf die Angreifenden herabzuschmettern."

Im Hof der Französischen Straße 32 wurden 29 Menschen ermordet

Nach dem Sturz der Monarchie am 9. November 1918 gab es in Berlin wiederholt bewaffnete Auseinandersetzungen, so auch im Januar 1919.
Nach dem Sturz der Monarchie am 9. November 1918 gab es in Berlin wiederholt bewaffnete Auseinandersetzungen, so auch im Januar 1919.

© Imago

Auch bei der nächsten deutschen Revolution, rund 70 Jahre später, stand das Haus Französische Straße 32 wieder mitten im Geschehen, und damit begann das wohl dunkelste Kapitel seiner Geschichte. In den Monaten nach dem Sturz der Monarchie am 9. November 1918 kam es besonders in Berlin wiederholt zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Reichsregierung und der sich in der KPD sammelnden, eine Räterepublik anstrebenden extremen Linken. Die Niederschlagung des Januaraufstandes 1919 endete mit der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Auch danach blieb die Lage instabil und mündete Anfang März in einen Aufruf zum Generalstreik, der in einen bewaffneten Aufstand umschlug. Am 3. März wurde über Berlin der Ausnahmezustand verhängt, wenige Tage später gab Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) den Befehl aus: „Jede Person, die mit der Waffe in der Hand, gegen Regierungstruppen kämpfend, angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“

Insgesamt kamen bei den sogenannten Märzkämpfen in der Reichshauptstadt rund 1200 Menschen ums Leben. Zu den Schreckensorten jener Tage gehörte auch der Hof der Französischen Straße 32, als dort am 11. März insgesamt 29 Angehörige der Volksmarinedivision mit Maschinengewehren exekutiert wurden. Die Einheit stand auf Seiten der Aufständischen, an dem Tag sollte sie dort Sold empfangen, doch die rund 250 anrückenden Matrosen wurden von Reichswehrsoldaten unter dem Kommando eines Leutnants Otto Marloh abgefangen, der von höherer Stelle zu scharfem Vorgehen angewiesen worden war. Er setzte sie fest, wählte 30 willkürlich aus und ließ sie an die Wand stellen, nur einer überlebte. Marloh kam deswegen vors Kriegsgericht, wurde aber freigesprochen. Zwar seien die Erschießungen „objektiv unberechtigt“ gewesen, weil die Matrosen keine Plünderer gewesen seien, gültige Waffenscheine besessen hätten und auch die Lage nicht bedrohlich gewesen sei. Doch habe Marloh geglaubt, „einen Dienstbefehl vor sich zu haben“. In der „Weltbühne“ vom 18. Dezember 1919 resümierte Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel den Prozess und nannte beim Namen, was der Tod der Matrosen eigentlich war: 29-facher „Mord“. 1949 und 1954 wurden am Haus Gedenktafeln aufgehängt, die aber kurz nach der Wende verschwanden.

Der Banktresor verschwindet im Keller

Der Tatort selbst war bereits wenige Jahre nach den blutigen Geschehnissen völlig umgebaut worden und danach nicht mehr wiederzuerkennen. Als Wohnhaus hatte der wackere Maurermeister das Gebäude konzipiert, als Bankgebäude begann es 1921/22 sein zweites Leben. Im Auftrag des Bankhauses J. Dreyfus & Co., der deutschen Schwestergesellschaft einer traditionsreichen Schweizer Privatbank, setzte der Architekt Otto Ortel auf Vorderhaus und Seitengebäude zwei weitere Geschosse, baute den Hof zur Kassenhalle um und passte insgesamt den Komplex den luxuriösen Bedürfnissen eines gediegenen Bankhauses an. Der ehemalige, nun mit gläserner Kuppel überdachte Innenhof wurde mit dem Tresorraum unterkellert.

Die seit 1891 bestehende Berliner Niederlassung des 1868 in Frankfurt/Main gegründeten Bankhauses hatte den Stammsitz im Laufe der Jahre überflügelt, Anfang der 30er Jahre arbeiteten 104 Bankangestellte in der Französischen Straße 32. Mit einem Geschäftskapital von zwölf Millionen Reichsmark habe J. Dreyfus & Co. zur „,belle étage’ des deutschen Privatbankwesens“ gehört, schreibt der Göttinger Wirtschaftshistoriker Ingo Köhler in „Die ,Arisierung’ der Privatbanken im Dritten Reich“: „Zu ihren Hauptkunden zählten führende deutsche Unternehmen der Maschinenbau- und Bauindustrie sowie der Elektrizitätswirtschaft, die mittels der Verbindungen der Dreyfus-Bank in die Schweiz, Holland und England und die USA ausgezeichnet betreut werden konnten."

Mit der Machtübernahme durch die Nazis 1933 neigte sich auch diese Phase in der Geschichte des Hauses ihrem Ende entgegen. 1938 wurde erst das Frankfurter Stammhaus, dann die Berliner Filiale „arisiert“, mit erheblichem Verlust für die jüdischen Inhaber. Am 5. März 1938 wurde der Wechsel offiziell bekanntgegeben, dies sei „in Fachkreisen einhellig positiv und als wegweisendes Beispiel für die zukünftige Gestaltung der ,Entjudung’ gewertet“ worden, schreibt Köhler.

Ein Haus zwischen Reformgeist und Repression

Die "Bibliothek Deutscher Klassiker" des Ost-Berliner Aufbau-Verlags war bei West-Besuchern hochbeliebt, um das Geld des Zwangsumtauschs auszugeben.
Die "Bibliothek Deutscher Klassiker" des Ost-Berliner Aufbau-Verlags war bei West-Besuchern hochbeliebt, um das Geld des Zwangsumtauschs auszugeben.

© Thilo Rückeis

Nach 1945 kam es zu einem Wiedergutmachungsverfahren, an eine Fortführung des Bankgeschäfts in der Französischen Straße war angesichts der politischen Lage aber nicht zu denken. Anstelle des Geldes zog nun der Geist in das Gebäude ein – der sozialistische Geist, um genau zu sein. Fast ein halbes Jahrhundert nutzte nun der 1945 gegründete Aufbau-Verlag das Gebäude, das zum Anlaufpunkt für seine zeitgenössische Autoren wurde, zu denen etwa Erwin Strittmatter, Christa Wolf, Jurek Becker, Reiner Kunze oder Günter Kunert gehörten. Auch widmete sich der Verlag dem literarischen Erbe, seine „Bibliothek deutscher Klassiker“ war besonders bei Ost-Berlin-Besuchern aus dem Westen populär, als eine Möglichkeit, das Geld des Zwangsumtauschs sinnvoll auszugeben.

Das Haus wurde in diesen Jahrzehnten wiederholt Mittelpunkt scharfer Auseinandersetzungen zwischen Reformgeist und Repression. So wurde Verlagsleiter Walter Janka 1957 in einem Schauprozess wegen angeblicher konterrevolutionärer Verschwörung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Und nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 protestierten auch zahlreiche Autoren des Aufbau-Verlags. Als der Staat mit Repressionen antwortete, zog manch einer die Konsequenz und wechselte in die Bundesrepublik.

Wenige Jahre nach der Wende zog der Verlag aus, und für eine kurze Zeit kam das Gebäude wieder in Bankenbesitz, begleitet mit ersten architektonischen Veränderungen. Kurz vor der Jahrtausendwende wurde erstmals kräftig umgebaut, als Bauherr trat das Bankhaus Delbrück & Co. auf, die als Architekten Hans Kollhoff verpflichtet hatte. 2011 erwarb die Robert Bosch Stiftung den Komplex von der Santander-Bank, ließ ihn erneut behutsam und denkmalgerecht umbauen, nach den Plänen des Berliner Architekturbüros Kunat & Haack. Bereits am 2. Juli 2012 konnte Eröffnung gefeiert werden.

Round-Table-Gespräche am "Pentagon-Tisch"

Entstanden ist ein Haus von unaufdringlicher Eleganz – und dank baulicher Vorsorge mit einer überraschend guten Akustik im zentralen Atrium, über die sich bereits Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper, anlässlich der Eröffnung überaus lobend geäußert hatte. Blickfang sind zwei in ihrer Höhe variable Kronleuchter unter der noch von Kollhoff entworfenen Glaskuppel, so kann die Beleuchtung der jeweiligen Veranstaltung angepasst werden, je nachdem ob eine Tagung angesetzt wurde oder ein Diner, das ein intimeres Ambiente verlangt.

Flexibilität ist ohnehin ein Prinzip des gesamten Gebäudes. Räume – für Veranstaltungen stehen bis zu 20 zur Verfügung – können durch verschiebbare Wände in ihrer Größe angepasst werden, auch das Mobiliar wird bei Bedarf umgerückt. So kann der ovale, für Round-Table-Gespräche ideale „Pentagon-Tisch“ – niemand weiß so recht, wie es zu dem Namen kam – rasch in seine Einzelteile zerfallen und einer klassischen Vortragssitzordnung weichen.

Verirren kann man sich in dem Gebäude nicht, in allen oberen Etagen kommt man, auf breiten hellen Fluren an den Räumen vorbeischreitend, wieder am Ausgangspunkt an. Zu Bankzeiten fiel das alles etwas düsterer und enger aus, doch nur in den ehemaligen, mit viel dunklem Holz ausgestatteten Vorstandsräumen im zweiten Stock, die man durch dicke Doppeltüren betritt und die heute Bibliothek und Kaminzimmer sind, hat sich die Aura der alten Bank noch erhalten.

Hier trifft sich das "Küchenkabinett"

Neu ist der Dachgarten im fünften Stock mit Platanen und Ahornbäumchen in Kübeln, samt Kamin-Lounge und einem Orangerie genannten, aber nicht so genutzten Raum. Man hat von dort einen herrlichen Blick über die Dächer der Stadt: sehr nah Schinkels Friedrichswerdersche Kirche und die St. Hedwigs-Kathedrale, nur wenig entfernter die über dem Auswärtigen Amt wehende Flagge in Schwarz-Rot-Gold.

Den Fellows der neuen Academy ist der vierte Stock vorbehalten. Zehn Büroräume stehen ihnen zur Verfügung, ausgestattet mit Computer, Drucker, Telefon – die technische Grundausrüstung ihrer Arbeit, die inhaltlich durch individuell abgestimmte Programme und Kontakte vorbereitet und unterstützt wird. Als Herzstück der Etage wurde eine Bibliothek eingerichtet, mit ausnahmslos englischsprachiger Fachliteratur zu nationalen und internationalen Themen der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Sie wurde auch als Ruhe- und Treffpunkt der Fellows konzipiert und wird von ihnen gern so genutzt, wenngleich die Küche um diese Rolle heftig konkurriert. Denn in einem ähneln sich Privatpartys und Expertenrunden dann doch: In der Küche kommt man am liebsten zusammen, und so trifft sich, wie der Inder Brahma Chellaney, aktueller Fellow der Academy, scherzt, gewissermaßen ihr „Küchenkabinett“. Das Diskutieren globaler Probleme und die Zubereitung eines Curry schließen einander eben nicht aus. Politik und Pasta? Durchaus kein Widerspruch.

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