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Buchhändler aus Leidenschaft: Robert Kiepert

© Tsp/Kai-Uwe Heinrich

Zum Tode von Robert Kiepert: Der König der Kunden

Der Berliner Buchhändler Robert Kiepert ist gestorben. Aus diesem traurigen Anlass veröffentlichen wir hier noch einmal ein Porträt aus dem Jahre 2011.

Wenn Robert Kiepert seinen Auszubildenden früher das Buchgeschäft erklären wollte, setzte er ihnen eine Torte vor. Dreiviertel davon schnitt er gleich ab, „etwa so viel bekommt der Verlag“, dann ein weiteres großes Stück, „das geht ans Personal“, kleinere Ecken „für Miete und Werbung“, und erst als nichts mehr übrig blieb außer Krümeln, sagte Kiepert: „Das ist der Gewinn, den die Buchhandlung macht.“

Die Torte ist in den vergangenen Jahren nicht größer geworden. Um nicht von Krümeln leben zu müssen, haben die Buchhändler einiges versucht. Sie haben ihr Sortiment erweitert, das Land mit Filialen überzogen und das Buchkaufhaus erfunden. Das ging eine Weile gut. Bis Amazon kam. Im vergangenen Jahr hatte der Internet-Händler einen Marktanteil von 15,1 Prozent im US-Buchgeschäft, in Deutschland liegt sein Anteil bei schätzungsweise zehn Prozent. Selbst die mächtigen Ketten kommen dadurch ins Trudeln: Im Februar kündigte mit Borders die zweitgrößte amerikanische Buchkette Insolvenz an. Im Juni gab Hugendubel bekannt, 2012 seine älteste Berlin-Filiale, gelegen am Tauentzien, zu schließen.

Konkurs kam 2002

Genau diese Buchketten waren es, die Kiepert einst in Bedrängnis brachten. 105 Jahre gab es sein traditionsreiches Geschäft am Ernst-Reuter-Platz, 2002 ging er Konkurs. Trotzdem kann der Handel von Kiepert lernen. Denn Robert Kiepert, 83, macht immer noch in Buch, länger als irgendwer sonst in Berlin, und das auf seine ganz eigene Weise. Einfach, weil er nicht aufhören kann.

Kiepert, weißes Hemd, rote Weste, ist auf der Stadtautobahn unterwegs. Auf der Rückbank seines silbergrauen Audis liegen stapelweise Bücher, neben ihm Johannisbeerbonbons und ein Opernglas. Seitdem seine Augen operiert wurden, braucht Kiepert es nicht mehr, „alte Gewohnheit, dass es hier liegt“, sagt er und tritt auf das Gaspedal. Aus dem Chef mit 400 Mitarbeitern ist ein fahrender Händler geworden; Kiepert leitet die Versandbuchhandlung U+R Kiepert und liefert die gewünschten Titel nach Hause oder ins Geschäft. Erste Station auf der Tour heute ist eine Elektrotechnik-Firma in Mariendorf, „ein sehr guter Kunde“, sagt Kiepert. Kaum ist er durch die gelbe Tür hindurch, läuft ihm die Mitarbeiterin winkend entgegen. „An einem Tag bestellen wir, und am nächsten Tag ist Herr Kiepert schon da“, sagt sie. Bei Amazon würde so ein Über-Nacht-Service etwas kosten, bei Kiepert nicht, für den Moment der Übergabe nimmt er sich aber Zeit, fragt nach dem Befinden und zitiert Loriot. Wahrscheinlich gestaltet sich eine Lieferung selten so vergnüglich – und wahrscheinlich hat kaum ein Bote einen ähnlich bekannten Namen.

Beliebt bei den Mitarbeitern

Die Kiepert-Buchhandlung in der Hardenbergstraße war eine Westberliner Institution wie Rogacki oder das KaDeWe. In der Studentenrevolte waren die Bankfenster nebenan regelmäßig zerschlagen, die von Kiepert nie, schließlich kauften die Studenten ihre Bücher hier. Bald sollte der Laden im ganzen Land bekannt sein, denn er nahm allgemeine Entwicklungen vorweg. Wollen wir nicht den Verkaufstresen herausreißen und die Kunden an die Regale lassen, dachten sich Vater und Sohn 1956 – Robert Kiepert junior war gerade eingetreten in den Familienbetrieb, der Vater sollte kurz darauf sterben – und erfanden damit die Selbstbedienung im Buchhandel. Wollen wir uns nicht vergrößern, dachte sich der junge Kiepert in den kommenden Jahren immer wieder – und hatte in den Neunzigern die größte Buchhandlung in ganz Deutschland.

Seine Mitarbeiter schätzten ihn. Bei der Inventur, erzählt eine ehemalige Angestellte, habe Kiepert um halb eins von der Empore herab ins Waldhorn zum Mittagsimbiss geblasen. Der Niedergang hatte wie so oft mehrere Gründe: Kiepert expandierte, aber die neuen Filialen rentierten sich nicht, ein eigens bestellter Berater war nicht nur teuer, sondern hatte auch teure Ideen, und dazu machten sich in Berlin die Ketten breit.

Wo früher Kiepert war, ist jetzt eine Filiale der Buchhandlung Lehmanns. Im Angebot ist heute Senf, zu haben für 7,95 Euro, platziert neben den Kochbüchern. Da die Gewinnmarge bei Büchern gering ist, haben Nonbooks Konjunktur, und allein in diesem Unwort zeigt sich die Verzweiflung der Branche: Wir verkaufen Bücher, aber auch alles, was kein Buch ist. Was die Menschen davon halten, zeigt ein Blick ins Lehmanns-Gästebuch: „Ich will hier Kiepert wiederhaben“, steht da und darunter, in anderer Schrift: „Ich auch.“

Verzögerungen melden ist "Ehrensache"

Kiepert auf seiner Tour hält fest am Kerngeschäft Buch, aber obendrauf gibt es Kekse. Vor dem Institut für Interkulturelle Kommunikation in Lichtenberg stellt er oben auf die Sackkarre eine Packung Schweineohren. Alwina Friefen, Empfängerin dieser Sondergabe, sitzt im ersten Stock. Einmal im Monat bestellt sie bei Kiepert Unterrichtsmaterial, bei englischsprachigen Büchern, die keine Preisbindung haben, verwendet er Mühe darauf, das kostengünstigste zu finden, falls es Verzögerungen gibt, meldet er sich von sich aus. „Das ist doch Ehrensache“, sagt er, Friefen hat es bei den Ketten anders erlebt. „Denen mussten wir hinterher telefonieren und geliefert haben sie schon gar nicht.“

In ihren Wachstumsbestrebungen haben sich die Ketten übernommen. 4500 Quadratmeter hat die Hugendubel-Filiale am Tauentzien, die im kommenden Jahr schließen wird. Ein Quadratmeter in dieser Lage kostet Schätzungen zufolge monatlich 240 Euro Miete – zu viel für den von Amazon bedrohten Buchhandel. Mittlerweile liegt die Umsatzrendite oft nur noch zwischen 0,5 und einem Prozent. Auf den Buchtagen 2011 in Berlin hieß es deshalb, die Geschäfte müssten „neue Flächenkonzepte“ entwickeln.

Kiepert hat das längst getan. Zum einen mit der Versandbuchhandlung, die kaum Fläche, nur ein Telefon, einen Computer und außer Kiepert zwei weitere Mitarbeiter benötigt. Zum anderen mit einem Ladengeschäft in der Bauhofstraße, der vorletzten Station auf Kieperts Büchertour. Lediglich 46 Quadratmeter hat der Laden nahe der Humboldt-Uni, dafür eine Mitarbeiterin, die ein Gegenentwurf ist zu den oft ungelernten Kräften der Filialbuchhandlungen: Kristina Hoffmann hat promoviert und kann Studenten in Wissenschaftsnöten gut raten. Von der Buchhandlung aus fährt Kiepert zur Akademie der Wissenschaften weiter. Die Mitarbeiterin, die die Lieferung entgegennimmt, kannte der Händler noch nicht, doch er merkt sich ihren Namen fürs nächste Mal.

Michael Jackson war auch mal da

In einem Interview mit dem „Börsenblatt“, dem Branchenmagazin des Buchhandels, prophezeite der Tchibo-Chef Markus Conrad, der zuvor 15 Jahre lang den Zwischenbuchhändler Libri geleitet hatte, den kleineren Buchläden eine „Renaissance“, wenn sie eine „persönliche Bindung“ zu ihrem Kunden aufbauen würden. Kiepert ist das mit seiner Mischung aus Kompetenz und Keksen längst gelungen. Zu seinen Kunden zählt das Finanzministerium genauso wie eine türkische Familie, die für ihre Kinder Schulmaterialien bestellt.

Und noch einer begeisterte sich für Kiepert: Ende der Achtziger war Michael Jackson da, nach Ladenschluss, wie vom Sänger gewünscht. Und weil jeder Kunde König ist, nicht nur der King of Pop, stimmte Kiepert zu. Hinter den Regalen versteckten sich die Mitarbeiter, die einen Blick auf den Star erhaschen wollten. Jackson wanderte umher, wandte sich dann an Kiepert. Wie sich seine Biografie verkaufe, fragte er. Liegt wie Blei, antwortete Kiepert nüchtern, lächelte freundlich und schenkte ihm zum Trost eine Kiepert-Chronik. Und Jackson, der vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit wie ein normaler Mensch behandelt worden war, kam gleich am nächsten Abend wieder.

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