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Robert Pragst: "Verurteilt. Mein Jahr als Strafrichter“: Buch über Alltag des Strafrichters erscheint

Trickreiche Advokaten, problematische Gutachten: Robert Pragst schildert in einem neuen Buch "Verurteilt. Mein Jahr als Strafrichter“ seinen richterliche Erlebnis und eines Verfahrens gegen drei Kreuzberger Drogendealer.

Von Fatina Keilani

Robert Pragst legt nach: Nach seiner Zeit als Staatsanwalt in Moabit lässt er jetzt auch sein Jahr als Strafrichter Revue passieren. Unterhaltsam geschrieben und zugleich lehrreich, hinterlässt das Buch den Leser allerdings auch verzagt. Der Strafprozess erweist sich darin als langwierige, ineffiziente und sehr fragile Angelegenheit, und Verteidiger sind Gestalten, die es in der Hand haben, den Ablauf komplett zu untergraben. Der richterliche Erlebnisbericht und die Schilderung eines Verfahrens gegen drei Kreuzberger Drogendealer wechseln sich kapitelweise ab; das sorgt für Spannung.

„Mir geht es darum, dass man als Außenstehender einen Einblick in die Abläufe bekommt“, sagt Pragst. Der 43-Jährige ist mittlerweile Zivilrichter am Amtsgericht Lichtenberg und sehr zufrieden mit diesem Amt. Das Strafrecht, obwohl als Rechtsgebiet viel kleiner und überschaubarer, reizte ihn nicht.

Das erste Kapitel seines Buches schildert, wie fünf junge Männer, sämtlich Kinder palästinensischer Asylbewerber, in der Küche Heroin und Kokain strecken und verpacken, um den minderjährigen Dealern in den Kreuzberger Parks Nachschub zu liefern. Wie es mit ihnen endet, wird ganz am Schluss des Buches aufgelöst. Dazwischen erfährt der Leser viel Beunruhigendes.

Erst ist Pragst noch eine ganze Weile Betreuungsrichter, bis er, kaum eingearbeitet, ans Strafgericht versetzt wird. Doch auch die Erlebnisse als Betreuungsrichter, die zu dem Titel „Mein Jahr als Strafrichter“ nicht recht passen und anfangs ziemlich viel Raum einnehmen, sind interessant. Wer volljährig und zum Beispiel psychisch krank ist, bekommt vom Gericht einen Betreuer an die Seite gestellt, der ihm bei Rechtsgeschäften oder der Einwilligung in Heilbehandlungen hilft – es sei denn, der Kranke hat, als er noch klar im Kopf war, selbst jemanden bevollmächtigt. Nach der Lektüre erscheint dies ratsam.

Als Betreuungsrichter lernt man Berlin schnell kennen, da der Alltag darin besteht, zu Anhörungen kreuz und quer durch die Stadt zu fahren. Man ist auch zuständig für die Entscheidung, ob bei dem im Koma liegenden Ehemann die Maschinen abgestellt werden sollen, wenn die Ehefrau das wünscht. „Ärzte sind auch immer seltener bereit, selbst über ärztliche Eingriffe zu entscheiden“, sagt Pragst. Auch dafür muss dann der Betreuer ran. Im Prinzip ist der Übergang zum Strafrecht fließend.

„Man ist auf die Gutachter angewiesen, man selber ist kein Psychologe oder Psychiater“, sagt Pragst. „Ein Richter kann kaum anders entscheiden, als das Gutachten nahelegt. Wenn er einen trotz negativen Gutachtens rauslässt und es passiert etwas, dann ist der Ärger groß.“

Welche Gedanken sich der Richter und seine Kollegen machen, wie sie mit der Verantwortung des Amtes umgehen, das lässt sich anhand der Schilderungen des juristischen Quereinsteigers Pragst sehr gut nachvollziehen. Der in Ost-Berlin geborene Autor kam auf Umwegen zur Juristerei, war vorher Sportstudent, Croupier, Bankkaufmann und Immobilienmakler, bevor er sein Studium an der Humboldt-Uni als Zweitbester seines Jahrgangs abschloss.

Der Strafprozess ist eine heikle Sache.

Speziell der Strafprozess ist eine heikle Sache. Nach den Erfahrungen mit der Justizwillkür der Nazis will der Staat offenbar alles richtig machen. Er meint es gut mit dem Angeklagten und achtet auf Rechtsstaatlichkeit. Davon profitiert der Verteidiger. Er kann endlose Spielchen mit dem Gericht spielen, den Prozess durch immer neue Anträge verschleppen und Zeugen tagelang mit den banalsten Fragen löchern, während die nächsten fünf Zeugen die ganze Zeit im Flur warten – und das tut er auch, jedenfalls der im geschilderten Fall. „Ich vermute mal, das machen vor allem jene, die nach Stunden bezahlt werden“, sagt Pragst. Ein Recht, den Advokaten in die Schranken zu weisen, hat das Gericht nicht.

„Auch das Internet ist ein Problem. Da gibt es Seiten, wo man sich Hunderte von Beweisanträgen herunterladen kann, zum Teil zu Themen wie: Der Richter soll eine Perücke tragen.“ Er sorgt sich auch um die Außenwirkung. „Es ist ja praktisch ein Gericht des Volkes. In unserem Prozess konnte man nichts dagegen machen, ich fand das ganz furchtbar.“ Jedes Mal müsse die Kammer sich dann zurückziehen und einen Beschluss fassen.

Macht diese Ineffizienz einen nicht wahnsinnig? „Ja, da kommen schon Emotionen hoch“, sagt Pragst, dem man mit seiner ruhigen Art nicht zutraut, überhaupt laut zu werden. „Es sind ja alles nur Menschen. Es ist schwierig, immer angemessen zu reagieren.“ Das dürfte Zeitungslesern aus dem Jonny K.-Prozess bekannt vorkommen. Als einem Schöffen der Kragen platzte und er den Angeklagten anfuhr, stellte der Verteidiger sofort einen Befangenheitsantrag, und alles musste von vorn beginnen.

Pragst wünscht sich eine Art Verhaltenskodex für Verteidiger. Ganz selten einmal habe man einen vor sich, der sich auf das Wesentliche konzentriere, sorgfältig vorbereitet sei und sich auf keine Spielchen einlasse. Das sei dann erfreulich. Einmal habe sein Vorsitzender über einen Verteidiger sogar gesagt, sollte er jemals selbst einen brauchen, dann würde er diesen nehmen.

Robert Pragst: Verurteilt. Mein Jahr als Strafrichter. dtv premium, 220 Seiten, 14,90 Euro, erscheint am 1. Juli.

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