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Berlin: Robert Ristic (Geb. 1976)

Hier fehlt eine Strandbar mit guter Musik und bequemen Sofas.

Bosnier, Halbwaise, männlich. Roberts Geschichte hätte eine des Scheiterns werden müssen, statistisch gesehen. Aber das Leben hält sich selten an die Statistik. Robert fühlte sich nicht fremd in Berlin. Er war in vielen Welten zu Hause.

Sieben Jahre vor Roberts Geburt entschließt sich der Vater in einem kleinen bosnischen Dorf, nach Deutschland zu gehen. In Berlin, als Metaller bei Siemens, findet er Arbeit. Hier lernt er Deutsche kennen – und auch viele Jugoslawen. Er verliebt sich in eine Frau aus dem bosnischen Nachbardorf und heiratet sie. Ein erster Sohn kommt zur Welt und drei Jahre später Robert. Die Familie zieht nach Moabit, drei Hinterhöfe.

Als Robert neun Jahre alt ist, stirbt die Mutter. Der Vater, Schichtarbeiter, erzieht seine Söhne allein, herzlich und streng. Morgens deutsche, nachmittags jugoslawische Schule, dazwischen Hausaufgaben und Hausarbeit. Die Hausarbeit übernimmt der ältere Bruder. Die Kochkünste sind bescheiden, beim Waschen schrumpfen Wollpullover auf Puppengröße. Aber die kleine Familie funktioniert. „Unser Vater führte für mich und Robert ein Oktavheft,“ sagt der ältere Sohn. „Darein schrieb er, was er auf Elternabenden über uns erfuhr. Nie vergaß er etwas.“ Abends kommt der unvermeidliche Kontrollanruf. Noch mit 19 müssen die Brüder um ein Uhr zu Hause sein. Musik und Sport sind dem Vater wichtig. Robert landet in der Volkstanzgruppe. Das gefällt ihm nicht. Fußball umso mehr. Für den SC Minerva spielen die Brüder, und sie werden dort Trainer.

Robert beginnt ein Wirtschaftsstudium und wird Jugendtrainer bei Hertha. 2000 wird er mit der B-Jugend Deutscher Meister. Er liest auch viel, macht sich schlau. In seiner Tasche steckt ein Notizbuch, da schreibt er seine Ideen hinein. Er will die Dinge begreifen und gestalten. Als wüsste er, dass ihm die Zeit davonläuft, ärgert er sich über Wartezeiten beim Arzt, Verspätungen bei der BVG. So denkt er sich ein System aus, das Wartende per SMS über Verspätung oder Terminverschiebungen informiert.

Während in Berlin viel über Integration gesprochen wird, gelingt es ihm nicht nur sich selbst zu integrieren. Wer in sein Netz gelangt, bekommt ständig Buch- und Musiktipps per E-Mail, Hinweise auf Internetseiten, und Youtube-Filme. Sein Kreis dehnt sich stetig aus. Mit seiner Freundin aus Ghana entdeckt er Afrika. Er lernt die große Verwandtschaft kennen und eine fremde, reiche Kultur.

Robert wechselt virtuos die Welten. Clubgänger erleben ihn, wie er sich auf der Tanzfläche mit I-Pod und Kopfhörern im eigenen Rhythmus bewegt. In Bosnien spielt er im Fußballtrikot der Dorfmannschaft. Abends spricht er mit Musikern und Schriftstellern in Banja Luka. In Bosnien trifft er auch die Cousine aus Berlin. Hier fehlt eine Strandbar mit guter Musik und bequemen Sofas, denken sie. „Für mich“, sagt die Cousine, „war das nur ein Gedanke.“ Zwei Tage später hat Robert ein Konzept für die Inneneinrichtung und die Finanzierung.

In Berlin tritt Robert eine Stelle bei der BVG an. Im eleganten Anzug fährt er auf dem Mofa zur Arbeit. Er fällt gerne auf, ist modebewusst, und er genießt es, fotografiert zu werden. Ein schöner Mann, cool, kantig und tiefgründig sieht er auf Fotos aus, fast wie sein Lieblingsschauspieler Steve McQueen. Das Notizbuch füllt sich: Hochzeitsvorbereitungen, ein Neustart als Trainer …

Eines Morgens wacht er einfach nicht mehr auf. Zwei Tage später treffen die Menschen aus Roberts Welten fassungslos aufeinander. In der serbisch-orthodoxen Kirche sitzen junge Leute mit rotgeränderten Augen, dichtgedrängt in den Bänken. Auch in den Gängen stehen sie. Serben, Kroaten, Bosnier, Ghanesen, Araber, Türken, Deutsche. Hunderte trauern um den Freund. Der Bruder schreibt im Internet an Robert: „Grüße mir den Rest unserer Familie. Deine Freunde, die ich noch nicht kannte, lerne ich jetzt kennen. Sie erzählen mir alle, wie toll du warst. So viel Feingefühl und Liebe, da denke ich manchmal, es ist alles inszeniert und du hast sie bestochen und stehst hinter der Ecke und feixt dir einen mit deinen Grübchen.“ Ursula Engel

Ursula Engel

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