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Berlin: Robin Anne Bah (Geb. 1947)

Alles in Bewegung, radikal, mutig, verschleißend

Sie sitzen im Juni zusammen. Es ist Robin Annes 65. Geburtstag. Ihr Lieblingscafé, „Zitrone“ in Kreuzberg. Nur sie fehlt. Ihr Foto steht auf dem Tisch. Und die Erinnerung ist da, an ihr Lachen, ihre Fantasie, ihre schillernde Persönlichkeit. Ein Leben wie ein Regenbogen, hatte der Pastor auf der Trauerfeier gesagt. Aber dem Freundeskreis war das nicht Abschied genug. Sie feiern ihren Geburtstag, Monate nachdem sie gestorben ist.

Als sie noch lebte, konnte eigentlich jeder Tag ein Geburtstag sein, weil sie sich immer wieder neu fand. Alles in Bewegung, radikal, mutig, verschleißend.

Als sie geboren wird, heißt sie nur Anne. Das Elternhaus, eine Villa in Hamburg Blankenese. Der Vater, Wirtschaftsjournalist, ist wie die Mutter an Kunst und Literatur interessiert. Reisen und der Blick auf fremde Kulturen gehören zum Selbstverständnis. Die Eltern bleiben kritisch-verständnisvolle Begleiter eines Lebensweges, der andere verständnislos zurücklassen würde.

Nach dem Abitur zieht sie nach West-Berlin, kein Jahr hält sie es aus. Auf den Straßen der vermeintliche Aufstand, im Dunkel der Kinosäle eine andere, fantasievollere Welt. Mit dem Rest kommt sie noch nicht klar. Dann München, eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Wie das Medium Film wird sie die Literatur nie verlieren. Und den Wunsch nach Freiheit. Mit Franz geht es nach Frankreich, sie betreibt eine Teestube, näht Puppen, hört „Jethro Tull“.

Als Franz weg ist, geht es 1975 zurück nach München. Die neue Frauenbewegung hat auf eine wie sie gewartet. Aus einer kleinen Teestube wird ein erfolgreiches Restaurant im Frauenzentrum. Sie arbeitet weiter im Buchhandel, übersetzt einen Roman aus dem Englischen für den Verlag „Frauenoffensive“.

Das langsame Sterben der Mutter, das sie begleitet: eine Zäsur. 1979 geht sie nach Großbritannien, wohnt einsam in einer Kate an der Küste in Schottland, unter ihr das tosende Meer. In der Dorfkneipe hört sie vom „Frauenland“, einem Ort in Wales, wo auf einer verlassenen Farm Frauen zu sich finden, eine Sozialutopie. Statt Strom, Heizung, Toiletten gibt es Natur, Trommeln, psychedelische Pilze, Lagerfeuer. Anne nennt sich nun Robin, weil sie den Gesang des Rotkehlchens so liebt. Ajanta, die früher Angela hieß, wird zur engen Vertrauten.

Nach zwei Jahren ist es genug. Dem Projekt bleibt sie aber verbunden, ein Großteil ihres Erbes sichert bis heute sein Fortbestehen. In London macht sie Straßentheater, lebt in einem von Frauen besetzten Haus im Schmuddelbezirk Hackney. Reisen nach Indien und Griechenland. 1983 folgt der Umzug nach West-Berlin, auch hier gibt es Off-Kultur und Lesben-Szene. Robin nimmt Schauspielunterricht. Nach dem Tod des Vaters hat sie genug Geld und sprüht vor Ideen und Projekten. Über Jahre macht sie aus Dostojewskis „Idiot“ eine kühne Bühnenversion. Tagebücher, Performances, Super-8-Filme, alle Arbeiten von ihr sind ein experimentelles Suchen.

Die Nachwendezeit, die ausländerfeindlichen Exzesse geben ihrem Leben eine neue Richtung. Theater und Kunst sind für sie keine Vermittlungsstrategien mehr. Sie arbeitet jetzt in einer Beratungsstelle für Flüchtlinge. Eine zermürbende Tätigkeit, so viel Elend und Not, so dramatische Familienschicksale. Sie begegnet allen mit Respekt und Humor, hilft beim Weg durch den Behördendschungel, unterrichtet Deutsch.

Am Sonnabend stöpselt sie erschöpft das Telefon aus. Wie sehr sie der Kampf für die anderen auszehrt, sieht kaum jemand. Alle bewundern und lieben sie. Im Verein lernt sie Saidu, einen Flüchtling aus Sierra Leone kennen. 2003 heiraten sie, sie trägt nun seinen Familiennamen. Der Versuch, mit einem Laden für afrikanische Literatur und Kleidung in Neukölln eine Existenz aufzubauen, steht unter schwierigen Vorzeichen: als Treffpunkt beliebt, als Geschäft eine Katastrophe.

Als sie die Diagnose erfährt, ist es für eine Chemotherapie zu spät. Momente des Auflehnens und der Verzweiflung wechseln sich ab. Dann geht sie in ein Hospiz. Ihr Freundeskreis ist für sie da. Gefasst geht sie in eine andere Welt. Von dieser Welt hat sie viel gesehen. Und ihr viel gegeben. Erik Steffen

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