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Berlin: Rot-Rot will auf Sarrazin in keinem Fall verzichten

Tempodrom-Affäre: Ein Rücktritt wird bis zum Prozessbeginn ausgeschlossen. Opposition verzichtet auf Misstrauensantrag

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Nach der Anklage gegen Thilo Sarrazin und Peter Strieder (beide SPD) verzichtet die Opposition vorerst auf einen Misstrauensantrag gegen den Finanzsenator. Die Fraktionschefs von CDU, Grünen und FDP einigten sich bei einem Treffen gestern nur darauf, für die Parlamentssitzung am 23. September eine „Aktuelle Stunde“ zu beantragen. Sarrazin und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) müssten dem Parlament erklären, wie der Senat auf die Anklage reagieren wolle, steht in einer gemeinsamen Erklärung und weiter: „Unabhängig vom juristischen Ausgang der Klage ist der Finanzsenator nicht mehr haltbar.“

Die Union hätte gern jetzt schon einen Misstrauensantrag eingebracht, wurde von der FDP und den Grünen aber gebremst.Es gebe keinen Grund, „aus der Hüfte zu schießen“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner dem Tagesspiegel. Der rot-roten Koalition werde sonst nur Gelegenheit gegeben, ihr geschlossenes Auftreten zu demonstrieren, hieß es bei den Grünen. Außerdem genießt Sarrazin bei einigen Abgeordneten der Opposition durchaus Wertschätzung und man hält ihn nicht für eine Zentralfigur der Tempodromaffäre.

Wohl aber für eine Zentralfigur des Senats. Auch deshalb versicherten SPD und PDS gestern erneut, dass sie den Finanzsenator bedingungslos unterstützen. „Wir stehen wie eine Eins“, sagte der SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. „Wir wollen, dass er im Amt bleibt, und wünschen uns, dass Sarrazin die zweifellos schwierige Situation übersteht“, erklärte der PDS-Landes- und Fraktionschef Stefan Liebich. Seit Wochen wurde in beiden Koalitionsfraktionen überlegt, was im Falle einer Anklage zu tun sei. Eines der Szenarien war die Auswechslung Sarrazins. Als potenzieller Nachfolger war schon Ende Juli der Finanz-Staatssekretär Hubert Schulte im Gespräch. Ein Volkswirt aus Westfalen, bis 2001 Chef der Hamburger Senatskanzlei. Vorher war er im Bundesfinanzministerium und in der SPD-Bundestagsfraktion tätig.

Schulte sei fachlich hervorragend geeignet, sehr fleißig und loyal, lautet das Lob in Koalitionskreisen. Leider fehle ihm politisches und rhethorisches Temperament. Für die Wahlkampfzeit 2005/06 könnte es aber reichen. Dann wollen die Sozialdemokraten die unpopuläre Sparpolitik ohnehin etwas in den Hintergrund stellen.

Trotzdem wird das Rücktritts-Szenario jetzt nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Jedenfalls nicht vor Eröffnung der Hauptverhandlung beim Landgericht. Bis dahin gehen noch Wochen, wenn nicht Monate ins Land und die Koalition kann austesten, welchen politischen Druck die Opposition gegen Sarrazin bis dahin entfalten kann. Was geschieht, wenn sich der Prozess in den Wahlkampf hineinzieht, welchen öffentlichen Eindruck ein Finanzsenator vor dem Kadi hinterlässt, da gibt es koalitionsintern unterschiedliche Einschätzungen. Diejenigen, die meinen, dass sei nicht durchzustehen, sind derzeit in der Minderheit.

Verwaltungsinterne Gerüchte, der Finanzsenator sei wegen seines stressbedingten schlechten Gesundheitszustands amtsmüde, wurden in der Senatskanzlei gestern sofort zerstreut. Nach seiner Operation habe Sarrazin am Montag die Arbeit „mit dem Engagement wieder aufgenommen, dass wir von ihm kennen“, versicherte Senatssprecher Michael Donnermeyer. Er sei „voll aktionsfähig und nervenstark“. Bei der Rettungsaktion für das Tempodrom habe der Finanzsenator „keine krummen Geschäfte gemacht“. Seine Entscheidungen seien allenfalls politisch kritisierbar. „Wir sehen uns im Recht und nehmen den Kampf auf.“

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