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Berlin: Rot-Rot will Etat 2007 nochmals durchrechnen

Einigung über Nachtragshaushalt rückt näher – trotz rechtlicher Bedenken des Finanzsenators

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Jetzt lenkt wohl auch die SPD ein. Gegen das Votum des Finanzsenators Thilo Sarrazin wird sich die Frakionsspitze der Sozialdemokraten voraussichtlich dazu durchringen, den Landeshaushalt 2007 zu korrigieren. Die Opposition fordert seit Wochen einen Nachtragshaushalt, die Linkspartei hat auch nichts dagegen. SPD-intern blieb das Thema bis gestern strittig. Aber: „Es ist nicht auszuschließen, dass wir einem Nachtragshaushalt zustimmen“, signalisierte der SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller die zunehmende Kompromissbereitschaft.

Der Etat 2007 wurde – als Teil eines Doppelhaushalts – schon Ende 2005 beschlossen. Seitdem hat sich einiges geändert: Die Steuereinnahmen sind geradezu explodiert. Die Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Empfänger liegen erheblich über der Planung und einige Vorhaben von Rot-Rot II – zum Beispiel höhere Personalmittel für die Schulen – sind im alten Etat nicht enthalten. Außerdem wurden einige Senatsressorts neu zugeschnitten. Deshalb wächst die Einsicht auch in der SPD-Spitze: Nicht aus rechtlichen, aber aus politischen Gründen mache es Sinn, sich mit der Opposition und dem Koalitionspartner PDS zu verständigen.

Der Haushaltsexperte der Linkspartei, Carl Wechselberg, sieht jedenfalls einen „erheblichen Anpassungsbedarf“. Nach dem Karlsruher Urteil zur Notlageklage Berlins und nach der Abgeordnetenhauswahl sei es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, den Haushalt den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das sagte die Fraktionschefin der Linkspartei, Carola Bluhm, ebenfalls öffentlich. Mit ihrem Vorpreschen hat sie den Koalitionspartner SPD allerdings verärgert. Heute befasst sich der SPD-Fraktionsvorstand mit dem Thema. Einig ist sich die Koalition, dass der alte Etat nicht völlig umgekrempelt werden soll. Der Nachtrag für 2007 könnte, so hieß es gestern, in Zusammenhang mit dem nächsten Doppelhaushalt für 2008/09 beraten werden, um die Berliner Verwaltung nicht über Gebühr zu belasten.

Trotzdem fühlen sich Finanzsenator Sarrazin und die SPD durch ein Gutachten des Staats- und Verfassungsjuristen Werner Heun aus Göttingen bestätigt: Der Senat sei nicht rechtlich verpflichtet, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Zusätzliche Pflichtausgaben (hauptsächlich für Hartz IV) bedürften keiner „besonderen Ermächtigung“. Die höheren Steuereinnahmen führten zwar zu einer geringeren Neuverschuldung als im Haushalt vorgesehen. Aber der – nun zu große Kreditrahmen – sei „nur eine Ermächtigung, keine Verpflichtung“. Der Etat müsse deshalb nicht korrigiert werden.

Ein gegenteiliges Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD) wird vom Göttinger Professor Heun als „unhaltbar“ eingestuft. Die Juristen des Abgeordnetenhauses verwiesen darauf, dass der Etat 2007 seit dem Karlsruher Urteil vom 19. Oktober 2006 verfassungswidrig sei. Denn die hohe Neuverschuldung, die regelwidrig über den Investitionsausgaben läge, sei vom Senat mit einer extremen Haushaltsnotlage Berlins begründet worden. Entsprechend einem Urteil des Landesverfassungsgerichts von 2003. Das Bundesverfassungsgericht habe diese Notlage aber verneint und der Begründung deshalb den Boden entzogen. Der Gutachter Sarrazins widerspricht: Beide Gerichte hätten nicht denselben Begriff von Haushaltsnotstand. Nicht Karlsruhe, nur das Landesverfassungsgericht habe die „Interpretationskompetenz“, ob der Etat 2007 verfassungswidrig sei. Auf eine Verfassungsklage der Opposition will es Rot-Rot aber wohl nicht ankommen lassen.

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