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Berlin: Rot-Schwarz ohne Rot - Für die SPD wird die Große Koalition zur Glaubensfrage (Kommentar)

In Berlin bleibt alles, wie es war? So klang es in der Wahlnacht, aber das ist womöglich ein Irrtum.

In Berlin bleibt alles, wie es war? So klang es in der Wahlnacht, aber das ist womöglich ein Irrtum. Das langweilige Ergebnis, das die Verhältnisse nur zu bestätigen schien führt offenbar doch zu einer spannenden Regierungsbildung. Diepgen hat nur den nackten Zahlen nach Recht, wenn er sagt, die Große Koalition sei nun stärker als vor der Wahl. Tatsächlich leidet sie an Schwindsucht: Die SPD ist ermattet, sie will nicht mehr.

Am Montag mochte der gescheiterte Spitzenkandidat Momper keinen Wählerauftrag zur Fortsetzung der Großen Koalition entdecken, der Fraktionsvorsitzende Böger sprach über eine SPD-tolerierte CDU-Minderheitsregierung; am Abend scheiterte der Versuch von Befürwortern der Koalition, bald mit der CDU zu sprechen - darüber soll nun ein Parteitag entscheiden. Am Dienstag dann wurde das Papier einer Gruppe bekannt, die vor Verhandlungen mit der CDU warnt ("Selbstmord auf Raten"). Dieser Gruppe gehören etliche Kreisvorsitzende an, zudem die Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach und die Senatorin Gabriele Schöttler, die auf ihren Wahlkampfplakaten dem Regierenden Bürgermeister Diepgen ihren Stöckelschuh in den Fuß rammte. Jetzt tritt sie die eigene Parteiführung, besonders Finanzsenatorin Fugmann-Heesing: Deren Kürzungspolitik sei schuld an der Misere.

Vor vier Jahren tat sich die SPD ähnlich schwer, Verhandlungen mit der CDU aufzunehmen. Der Parteitag, der damals entschied, zeigte die Sozialdemokraten gespalten: Gerade 57 Prozent der Delegierten waren dafür - aus heutiger Sicht eine pralle Mehrheit. Etliche Koalitionsfreunde von einst haben sich zu Gegnern gewandelt. Die Stimmung ist gekippt, die Basis schreit nach Blut - dem der eigenen Führung. Dass unter den Rädelsführern die Senatorin Schöttler ist, muss die Parteiführung doppelt schmerzen. Sie ist der wandelnde Beweis für die Unfähigkeit der Spitze, den eigenen Kopf durchzusetzen. Einflussreiche Kreise haben sie zur Senatorin gemacht, gegen den Willen des Fraktionsvorsitzenden Böger.

1990 hatte die SPD ihren Eintritt in die ungeliebte Koalition mit der Aufgabe erklärt, die Einheit der Stadt herzustellen. 1995 suchte sie sich eine neue Aufgabe: Sie ernannte sich zur Sparkommissarin, um die Stadt vor dem Bankrott zu retten. Hart sein gegen andere, hart sein auch gegen sich selbst - das erschien der SPD eine angemesse Rolle, auf die sie sogar ein wenig stolz war. Heute aber hat die SPD nichts, womit sie ein neues Bündnis begründen könnte. Sie bekommt keine Aufgabe zugewiesen, sie hat sich aber auch keine gesucht. Der Führung fehlt es an Fantasie. So wird die Koalitionsfrage zur Glaubensfrage allein in eigener Sache: Schadet sie uns oder nutzt sie uns? Das reicht nicht.

Aber das ist noch nicht alles. In der SPD macht sich eine Stimmung breit, die Gegner und Befürworter der Koalition gleichermaßen erfasst hat. Man möchte nicht mehr, wie in den vergangenen Jahren, nur die Dreckarbeit machen, während die CDU glänzt und feiert. Wenn schon zurück in den Senat, dann diesmal bitte umgedreht. Der Wahlverlierer möchte es auch einmal schön und gut und gemütlich haben. Aber dafür wurde die SPD nicht gewählt.

Es wird noch lange dauern, bis die SPD sagt, was sie will. Da haben CDU und Grüne Zeit, ganz nüchtern über eine Regierung ohne Sozialdemokraten nachzudenken.

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