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Rotlicht und Schatten: Verwaltungsgericht prüft Kurfürstenstraße auf Laufhaus-Tauglichkeit

Wie viel Lärm dringt vom Bordell-Parkplatz in die Nachbarschaft? Diese Frage versucht Sigrid Schwalbe, Vorsitzende der 19. Kammer des Verwaltungsgerichts bei einem Rundgang an der Ecke Kurfürstenstraße / Potsdamer Straße zu klären.

Erfolgssicher ist man beim Bezirksamt nicht. „Einzelfall, Abwägungssache, sehr wertungsbehaftet“, sagt Christian Knüppel etwas ratlos in die Kameras. Knüppel spricht über das baldige Urteil im Laufhausstreit. Er vertritt den Bezirk Tempelhof-Schönberg und will kein Bordell an der Ecke Kurfürstenstraße und Potsdamer Straße. Auf dem hiesigen Strich stünden ohnehin schon zahlreiche Prostituierte, der Kiez könnte kippen, sagen auch Anwohner. Der Bezirk hat das über dem hiesigen Sexshop geplante Laufhaus – 48 Zimmer zur Miete für freiberuflich tätige Sexarbeiterinnen – nicht genehmigt. Dagegen wehrt sich ein Paar, dass schon eine im Rotlichtgewerbe bekannte Bar betreibt. Der Strich würde durch ein Laufhaus nicht schlimmer. Und Zuhälter, Drogen, Gewalt gäbe es bei ihnen im Haus nicht. „Wir schaffen 30 feste Arbeitsplätze“, sagt Ismail Karaca, dessen Frau gegen den Bezirk klagt, „Sicherheitsleute, Buchhalter, Reinigungskräfte“.

Die TV-Teams sind an diesem Mittwoch aber nicht seinetwegen oder wegen des Bezirks hier, schließlich zieht sich der Streit seit Jahren, sondern wegen Sigrid Schwalbe. Die Vorsitzende der 19. Kammer des Verwaltungsgerichts hat die Verhandlung zwischen Staat und Sexgewerbe auf die Straße verlegt. Zusammen mit Berufsrichtern und Ehrenamtlichen schaut sich Schwalbe vor Ort um, lässt sich von einem Gutachter erklären, wie viel Lärm vom Bordell-Parkplatz in die Nachbarschaft dringt. Der Sachverständige rechnet vor, wie laut der vielbefahrene Innenstadtkiez ohnehin schon ist. Autotürengeknalle würde die Gegend wohl kaum lauter machen. Schon jetzt steuern nachts zahlreiche Wagen durch die Kurfürstenstraße, die Fahrer schauen sich auf dem Strich nach Frauen um, Türen knallen, Freier und Hure fahren um die Ecke. Richterin Schwalbe sieht sich am Haus nebenan um, in den kleinen, günstigen Wohnungen leben viele Senioren und in einigen auch Prostiuierte mit ihren Zuhältern. Die Neuen aus Südosteuropa hätten schon mal blaue Flecken im Gesicht, sagen Sozialarbeiter. Ein Mann in Jogginghose fährt seinen BMW mit ungarischem Kennzeichen weg, vielleicht, weil hier heute viel Polizei ist, auch Heroinspritzen liegen kaum herum. Ein Beamter sagt: „Durch das Laufhaus wird die Gegend nicht schlimmer. Den Strich gibt es seit 40 Jahren – ohne Bordell.“

Vor einem Jahr wartete man in der Sexbranche schon mal auf ein Urteil: Eine Richterin hatte die „Nutzungsänderung“ eines Ladens in eine „prostitutive Einrichtung“ in Wilmersdorf für zulässig erklärt – auch in einem Mischgebiet, in dem sich neben Geschäften viele Wohnungen befinden. „Die Gerichte sind liberaler geworden“, sagt Dirk Behrendt, Rechtsexperte der Grünen. Schon bevor Prostitution 2002 legalisiert wurde, seien Berliner Richter die Debatte um käuflichen Sex sachlich angegangen: Sie hatten mit ihrem Urteil zugunsten der Betreiberin des Cafés „Pssst!“ im Jahr 2000 Freiern und Huren erlaubt, sich dort zur Anbahnung ihrer Sexgeschäfte zu treffen.

Stephanie Klee vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen rät allen Beteiligten zu einem Runden Tisch, wie bei der Planung eines Einkaufzentrums – Bezirk, Bordellbetreiber, Anwohner, Hurenvereine. Das Urteil zum Laufhaus an der Potsdamer Straße wird an diesem Donnerstag erwartet.Hannes Heine

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