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Berlin: Rückblick auf desn ersten Aufbau Ost Eine einmalige Fotosammlung zeigt die Entwicklung

der Arbeiter-und-Bauern-Hauptstadt

Ostern 1971 im Centrum-Warenhaus am Alexanderplatz: Unter der gerasterten Lichtdecke stehen sie in Reih und Glied, die Roller, Dreiräder und Tretautos, die unsere Kinderherzen höher schlagen ließen. Schaukelpferde sind auch dabei. Wie bürgerlich die DDR doch war.

Das Schwarz-Weiß-Foto stammt von Gisela Dutschmann, deren Name bisher in keiner Publikation über DDR-Fotografie zu finden ist. Von Berufs wegen hätte sie sich auch eher für die Außenfassade des Kaufhauses interessieren müssen, für jene wunderbaren weiß lackierten Blechornamente, die gerade dem Umbau des heutigen Kaufhofes zum Opfer gefallen sind. Gisela Dutschmann betreute zwischen 1953 und 1990 das Fotoarchiv bei der Ost-Berliner Magistratsverwaltung für Städtebau. Dort wurden Aufnahmen gesammelt, die das sukzessive Verschwinden der alten, vom Krieg gezeichneten Stadt und den architektonischen Neubeginn in der Hauptstadt der DDR dokumentieren. Die meisten der 35 000 Fotos und 17 000 Dias hat Gisela Dutschmann selbst aufgenommen.

1992 gelangte der einmalige und dennoch bedrohte Bestand in die Architektursammlung der Berlinischen Galerie. Mit Unterstützung der Getty Foundation konnten die Historiker Andreas Butter und Benedikt Goebel ihn inventarisieren und digitalisieren. Eva-Maria Barkhofen, die Leiterin der Architektursammlung, hat nun 170 Fotos zu einem bemerkenswerten Buch zusammengestellt.

Dass daraus kein Ostalgie-Produkt wurde, ist vor allem dem spröden Dokumentarstil Gisela Dutschmanns zu verdanken. Wo doch einmal Pathos aufblitzt, wenn etwa junge Bauarbeiter zukunftsfroh ins Bild stürmen, kann man sicher sein, dass es von einem anderen Fotografen stammt. In den fünfziger Jahren dominieren Ruinen und wiederhergestellte Provisorien, doch bald dreht sich alles um Neubau. Zu den Aufgaben des von Hermann Henselmann angeregten Archivs gehörte es, alle wichtigen Planungen zu dokumentieren. Etliche Fotos zeigen Zeichnungen und Modelle, so für die Stalinallee oder den Schloßplatz, die sich nicht erhalten haben. Eine Fundgrube für Spezialisten. Und eine Zeitreise in ein Land, das seinen umfassenden Kontrollanspruch in Architektur zementierte. Das Wohnungsbau als gesellschaftliche Aufgabe verstand. Das dafür bereit war, zu Gunsten der allgegenwärtigen „Platte“ sein Gesicht zu opfern.

Der Bildband lässt auch die Peripherie der Teilstadt nicht aus, führt nach Marzahn und Hellersdorf. Oder zum entscheidenden Punkt, der dem Dokumentaristen heilig ist. Eine Fotofolge zeigt den Bau des Staatsratsgebäudes, ein anderes Montagearbeiten am Palast der Republik. Das blanke Stahlgerippe. Inzwischen sieht es dort beinahe wieder genauso aus.

Ost-Berlin und seine Bauten. Fotografien 1945-1990. Hrsg. von Eva-Maria Barkhofen, bearb. von A. Butter/B. Goebel. Wasmuth Verlag. 196 S., 19,80 € (Berlin. Galerie), 24,80 € (Handel).

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