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Dilek Kolat informierte sich bei der russischen Community.

© dpa

Russen in Berlin: Hoch qualifiziert im Wartestand

Integrationssenatorin Dilek Kolat informiert sich in einem Schnelldurchgang über die Schwierigkeiten der russischen Gemeinschaft. Vor allem Mediziner haben Probleme, einen angemessenen Job zu finden.

Die Grabplatte liegt schon so lange, dass das Moos in dem rissigen Gestein interessante Strukturen zeichnet. Einen halben Meter daneben das nächste Grab, dazwischen Rasen, ein Streifen Natur in verblichenem Grün. In die Grabsteine sind kyrillische Buchstaben geritzt.

Dilek Kolat starrt auf den Streifen und sagt: „Das finde ich nicht in Ordnung.“ Niemand darf hier essen und trinken, keine Bank, keine Stühle, kein Picknick, alles nicht erlaubt. Ein Wodkaglas auf dem Grabstein natürlich auch nicht. Kolat, Senatorin für Integration und Frauen (SPD), versteht das nicht. „Da muss man nachfragen, warum das so ist.“

Das ist so, weil der russisch-orthodoxe „Hl. Konstantin und Helena Kirche Friedhof“ in Reinickendorf liegt, also in Deutschland. Und die Friedhofsordnung hat klare Regeln. Am Eingang stehen sie sehr deutlich in einer Schautafel.

Russen veranstalten gern ein Picknick am Grab

Nur hat Dilek Kolat gerade gelernt, dass orthodoxe Russen am Grab gerne ein Picknick veranstalten, ihre Form der Totenehrung, und liebevoll mit einem gefüllten Wodkaglas symbolisch mit dem Verblichenen anstoßen. „Das sind doch schöne Traditionen“, sagt sie.

Die Senatorin ist wieder auf Integrationstour, eine Informationsreise im Kurzstreckentempo. Vergangene Woche die Vietnamesen, nun die russische Community. Erste Station der Friedhof, die Zeit reicht für eine ausführliche Besichtigung.

Zweifellos interessant, nur hat sie noch eine zweite Station, und die Hauptpersonen dort sind überaus lebendig und hätten einiges mehr zur Integration zu sagen als stumme Grabsteine.

Die klassische Falle solcher Termine. Sie zielen auf die Wirkung von Bildern, weniger auf Inhalte. Da rutscht der Gastgeber schnell in die Rolle der Randfigur.

Tatjana Forner leitet den „Club Dialog“ in Wedding, der sich intensiv und breit gefächert um die Integration von Migranten, nicht bloß Russen, kümmert. Als Forner hört, dass sie gerade mal 45 Minuten Zeit hat, ihre Sorgen loszuwerden, fragt sie leicht pikiert die Senatorin: „Das ist komisch. Und Sie wollen in 45 Minuten über eine Community mit 170 000 Menschen reden?“

Die Zeitnot bestimmt das Programm

Sieben Projektleiter des Clubs sind für ihre Referate bereit, nur fünf kommen letztlich überhaupt hastig zu Wort. Also Fakten im Schnelldurchgang. Ein Hauptproblem sei die Anerkennung von ausländischen  Berufsabschlüssen. Bei Architekten und Ingenieuren gehe es ja noch, aber beim medizinischen Personal, „ist es ganz schwierig“.

Eine Referentin, Leiterin der „Servicestelle für neue Herausforderungen“ in der Friedrichsstraße, erzählt, dass sie im Jahr 900 Migranten am Telefon und 500 persönlich berät, und dass sie Hinweise auf zuständige Ämter und Jugendzentren gibt, da raunt ihr Tatjana Forner zu: „Schneller, komm zum Schluss.“ Noch ein Problem des Clubs: Die Jugendlichen, die mit 14, 15 Jahren nach Deutschland kommen, haben in diesem Alter mehr Mühe als etwa Zehnjährige, Deutsch zu lernen, und erhalten keinen oder nur schwer einen Ausbildungsplatz.

Und, ganz wichtig, eine gute Nachricht, die Communities untereinander stehen stärker im Kontakt als früher. Der „Club Dialog“ berät auch Organisationen anderer Nationalitäten, hilft ihnen beim Aufbau des Vereins oder bei den ersten Schritten des Vereinslebens.

Dilek Kolat notiert und stellt, zwischen Kurzreferaten, auch Fragen. Immerhin, es sind keine Alibifragen, sie hat gut zugehört. Das Thema Anerkennung von Berufsabschlüssen interessiert sie, aber selbst die Antworten auf Kolats Fragen werden von Tatjana Forner abgewürgt. Die Zeit drängt.

Auf dem Friedhof war die Atmosphäre noch entspannter. Kolat hatte auf dem Weg zum Bus sogar Zeit für einen Zwischenstopp: Sie fotografierte mit ihrem Handy die Regeln.

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