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Berlin: Säule des Tuilerienschlosses steht auf Schwanenwerder

In Paris wird der Wiederaufbau des alten Königspalasts diskutiert. Vergeblich forderte Frankreich die Fassadenteile zurück

Die französische Besatzungsmacht war misstrauisch, witterte schon einen Fall von Beutekunst. Fassadenteile des Pariser Palais des Tuileries, des ehemaligen, 1871 beim Aufstand der Commune zerstörten Königspalasts auf einer Wannseeinsel in Berlin, der Hauptstadt des soeben niedergerungenen Nazi-Reichs? Sollten die Deutschen, als sie damals in Versailles ihr Kaiserreich proklamierten, vielleicht gleich ein paar Trophäen requiriert haben? Kurze Zeit stand es schlecht um die Kunstruine auf Schwanenwerder, erst als Unterlagen vorgelegt werden konnten, dass die Bruchstücke zwar unzweifelhaft aus den Tuilerien stammten, doch ebenso unzweifelhaft korrekt erworben waren, gaben die Franzosen sich zufrieden.

So muss sich hier niemand wegen der jüngst von der Seine an die Spree gelangten Nachricht sorgen, dass die Berliner Tage der Wannseer Tuilerien-Säule gezählt seien. Wie berichtet, gibt es in der französischen Hauptstadt, ähnlich wie in der deutschen, Wiederaufbaupläne für das dortige Königsschloss. Auch Paris hat seinen Wilhem von Boddien, dort heißt er Alain Boumier, Bauingenieur und seit über 30 Jahren Tuilerien-Enthusiast. Viele haben ihn deswegen belächelt, doch jetzt hat Frankreichs Kulturminister einen Erlass unterzeichnet, mit dem er eine hochrangige Kommission für den Wiederaufbau der Tuilerien einberuft. Zu berichten hat sie direkt dem Staatspräsidenten.

Es geht um einen Bau, der eng mit der französischen Geschichte verbunden war. Katharina von Medici, Frau des Königs Karl II, hatte ihn ab 1564 errichten lassen, an der Stelle einer früheren Ziegelei, an die noch der Name (la tulerie = die Ziegelei) erinnert. Hier heiratete ihre Tochter Margarete 1572 den Hugenotten und späteren König Heinrich IV., die sogenannte „Bluthochzeit“, der kurz darauf die Bartholomäusnacht, das Massaker an den Hugenotten, folgte. 1792 wurde in den Tuilerien die Schweizergarde des Königs von Revolutionären niedergemacht, später hatten hier Napoleon I., der Bürgerkönig Louis Philippe und Napoleon III. ihre Residenz. Schon bei der Julirevolution 1830 und der Februarrevolution 1848 waren die Tuilerien umkämpft, beim Aufstand der Commune 1871 schließlich wurde das Schloss zerstört und 1883 bis auf zwei kleine Pavillons abgerissen, um Platz zu schaffen für einen vollständigen Wiederaufbau, aus dem aber nichts wurde.

In Berlin hatte zu der Zeit gerade der Lampenfabrikant Friedrich Wilhelm Wessel die Insel Schwanenwerder, damals noch Cladower Sandwerder genannt, für 27000 Reichsmark vom Rittergutsbesitzer Hugo von Platen zu Sophienwalde erworben, um dort sein preußisches Arkadien zu gestalten und durch den Verkauf von Landhaus-Parzellen zugleich kräftig zu verdienen. Dies gelang zwar erst den Erben, aber die Säule mit korinthischem Kapitell, Gesimsstück und einem Bogenteil samt Widderkopf, die Wessel als damals modische Scheinruine, eingebettet in eine Parkanlage, 1884 errichten ließ, zeugt noch immer von dem romantisch beseelten Industriellen. Elf Kalksteinfragmente hatte er beim Ausverkauf der Schlossreste in Paris regulär erworben und über England nach Schwanenwerder bringen lassen, die passende Inschrift, noch heute zu lesen, lieferte ihm die lyrisch veranlagte Gattin des Verlegers Paul Parey, den er aus dem Verein „Seglerhaus am Wannsee“ kannte: „Dieser Stein vom Seinestrande / hergepflanzt in deutsche Lande, Ruft Dir, Wandrer, mahnend zu: / Glück, wie wandelbar bist du!“

Die Säule, die an einem ebenfalls künstlichen Mauerrest aus einheimischen Klinkern Halt findet, überstand die Umwandlung des Parks zu Straßen- und Bauland, blieb im Krieg trotz der Nähe zur Goebbels-Villa unbeschädigt und widerstand auch dem Verlangen der Franzosen nach Herausgabe. Der Vater von Georg Schertz, Berlins ehemaligem, seit jeher auf Schwanenwerder ansässigen Polizeipräsidenten, hatte die Herkunft der Kunstsäule dokumentieren können. Seit 1956 steht sie unter Denkmalschutz, vor drei Jahren wurde sie durchs Landesdenkmalamt und die Von-Hinkeldey-Stiftung restauriert, deren Vorsitzender Schertz ist. Französische Ansprüche gibt es nicht mehr. Sollte das Palais des Tuileries also tatsächlich rekonstruiert und der Neubau mit Originalteilen veredelt werden, müssten die Franzosen sie schon zurückkaufen. Aber wer will das schon?

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