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Das Konzerthaus (l) und der Französische Dom auf dem Gendarmenmarkt in Berlin.

© picture alliance /dpa/Soeren Stache

Sanierungsstau in der Hauptstadt: Berlins Kulturbauten verfallen

Berlins Konzerthäuser, Theater oder Museen sind in schlechtem Zustand. 435 Millionen Euro braucht es, um den Sanierungsstau aufzulösen. Teilweise ist die Spielfähigkeit bedroht.

Das ganze Ausmaß des Sanierungsstaus an Berlins Kulturbauten beförderten die Antworten des Senats zutage auf eine Anfrage des Grünen Kultur- und Haushaltsexperten Daniel Wesener. Denn dem Schreiben liegt eine Giftliste bei, die detailliert den Investitionsbedarf der einzelnen Häuser beziffert, damit Prestigebauten wie das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, die Philharmonie und der Friedrichstadtpalast nicht verfallen. Diesen Eindruck jedenfalls erwecken die Erläuterungen zu der Aufstellung, wonach zum großen Teil „unmittelbare Maßnahmen zur Sicherung“ der Bauten erforderlich sind.

Ist der Besuch der Kulturstätten bei dem Ausmaß der Schäden überhaupt noch sicher?

Natürlich, versichern Senat und die für die Sanierung zuständige Tochterfirma BIM. Denn die BIM kann frei verfügen über 20 Millionen Euro im Jahr für Notreparaturen an Gebäuden des sogenannten „Kulturportfolios“. Dieses Geld dürfen die Planer ausgeben, „wenn Gefahr für Leib und Leben besteht“ oder „wenn der Spielbetrieb gefährdet ist“. Ein Sprecher der BIM erklärt: „Sollte eine ganz akute punktuelle Gefahr entdeckt werden, wird diese wie eine Havarie behandelt und umgehend behoben.“ Theoretisch muss also kein Besucher befürchten, dass ihm die Decke während der Fidelio-Aufführung auf den Kopf fällt.

Wie sieht die Praxis aus?

Es besteht hohe Not, weil die Bauexperten die Millionen nicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen anfordern, sondern für konkrete Maßnahmen an den einzeln aufgeführten Spielstätten auf der schwarzen Liste. Dabei muss der größte Teil des Geldes dringend fließen, weil der „Gebäudezustand unmittelbare Maßnahmen zur Sicherung“ erfordert, die Arbeiten „zur Einhaltung gesetzlicher und normativer Vorgaben“ notwendig sind oder die „Funktionstüchtigkeit“ der Einrichtungen auf dem Spiel steht. So werden die erforderlichen Arbeiten in den drei Stufen mit höchster „Priorität“ beschrieben, die allein schon mehr als 340 Millionen Euro kosten würden.

Welche Häuser stehen auf der schwarzen Liste?

Einige der schönsten Kulturstätten Berlins sind betroffen: das Konzerthaus am Gendarmenmarkt zum Beispiel, die Philharmonie und der Kammermusiksaal im Kulturforum ebenfalls. Außerdem der Friedrichstadtpalast in der Friedrichstraße. Die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz muss genauso dringend saniert werden wie das Märkische Museum am Köllnischen Museum. Und das sind nur die prominentesten Beispiele.

Auch die Philharmonie in Berlin ist dringend sanierungsbedürftig.
Auch die Philharmonie in Berlin ist dringend sanierungsbedürftig.

© Britta Pedersen/dpa

Wird zurzeit gar nicht saniert?

Doch, aber eben bei weitem nicht genug. „Das Konzerthaus ist wie auch in den letzten Jahren ein Schwerpunkt unserer Bauunterhaltsplanung 2018“, teilt die Sanierungsfirma des Landes BIM mit. Auch bei der Philharmonie passiert etwas: In diesem Jahr werde „noch eine Planerausschreibung für ein Gesamtsanierungskonzept gestartet“, sagten die landeseigenen Bauexperten weiter. Ziel sei es, „im Haushalt 2020/21 investive Mittel anzumelden“. Das ist noch lang hin: Zurzeit verhandeln die Fachverwaltungen erst über den „Doppelhaushalt 2018/2019“. Und ob das Geld in den Folgejahren immer noch so locker sitzt beim Finanzsenator, und die Steuereinnahmen in Berlin weiter sprudeln, ist ungewiss.

Der Senat muss also sofort handeln und Geld bereit stellen?

Ja, sagt der Haushalts- und Kulturexperte der Grünen Daniel Wesener, dessen parlamentarische Anfrage den Investitionsstau zutage beförderte: „Das Land kann den Investitionsstau nur auflösen, wenn der Senat zusätzliche Mittel in die Hand nimmt.“ Er sei selbst überrascht über die gewaltige Summe, sagt Wesener, zumal darin nicht einmal die Bauten im bezirklichen Vermögen enthalten seien. Wie „runtergerockt“ etwa die Volksbühne sei, davon habe er sich im Gespräch mit deren neuem Intendanten selbst überzeugen können. „Es wäre schade, wenn irgendwann Häuser deshalb schließen müssten.“

Warum ließ der Senat seine Kulturbauten überhaupt so verwahrlosen?

Ursächlich dafür war der Haushaltsnotstand in Berlin, der den früheren Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit zur Aussage veranlasst hatte, nun mehr werde „gespart bis es quietscht“.

Nun quietscht und kracht es tatsächlich, und der Millionenbedarf ist gleichsam die Quittung dafür, dass ein Jahrzehnt lang nur das Allernötigste zur Aufrechterhaltung des Betriebes floss. Und Bauexperten wissen, dass sich Schäden, die nur notdürftig geflickt werden, zu großen Problemen auswachsen können, wenn der Bauherr die Instandhaltung schleifen lässt.

Müssen Häuser wegen des Sanierungsstaus schließen, so wie die Staatsoper Unter den Linden?

Das ist noch unklar, die Sanierungsfirma des Landes BIM will das allerdings verhindern und „Baumaßnahmen auf die Spielferien mehrerer Jahre verteilen“. So gesehen wäre eine Bereitstellung der 435 Millionen Euro in Tranchen über mehrere Jahre die sinnvollste Strategie, da sonst „alle Einrichtungen gleichzeitig schließen“ müssten, wie es bei der BIM heißt.

Reicht es aus, dafür jedes Jahr ein paar Millionen bereitzustellen?

Nein, weil der Sanierung deren Planung sowie Ausschreibungen vorangehen und sich diese zusammen mit der Ausführung der Arbeiten über Jahre erstrecken können. Deshalb kann der Senat das Geld nicht einfach in den Haushalt einstellen, zumal die Mittel zu verfallen drohen, wenn das Ressort sie nicht abruft. Daher bedarf es ähnlich wie bei der Sanierung der Schulbauten eines eigenen Programms. Grünen-Haushaltsexperte Wesener schlägt deshalb vor, die Sanierung der baufälligen Kulturbauten größtenteils aus dem Sondervermögen zu finanzieren, das sich aus Überschüssen des Landeshaushaltes speist.

Was ist bei besonders betroffenen Kultureinrichtungen zu hören?

Beim Konzerthaus am Gendarmenmarkt stehen bereits Sanierungsarbeiten in diesem Jahr an und zwar „im Keller des Funktionshauses“, sagt ein Sprecherin. Weil dort das Grundwasser ins Gebäude drückt, ziehen Arbeiter eine wasserfeste Wanne ein. Dazu muss der Boden herausgenommen werden. Der Konzertbetrieb sei durch diese Maßnahme nicht beeinträchtigt, weil diese „wie in jedem Jahr in der Sommerpause“ stattfindet. Dasselbe gelte für die Arbeiten an behindertengerechten Zugängen und die Sanierung der Jehmlich-Orgel im Großen Saal. Dass der ehrwürdige Altbau, der als wichtigstes Werk des Architekten Karl Friedrich Schinkel gilt, darüber hinaus gesetzliche Vorgaben nicht mehr einhält und außerdem durch „unmittelbare Maßnahmen“ gesichert werden müsste, ist dort nicht bekannt – die landeseigene BIM sei für die bauliche Instandhaltung zuständig.

Was sagt Kultursenator Klaus Lederer dazu?

Der ist im Urlaub, aber sein Sprecher Daniel Bartsch wundert sich auf Anfrage nicht über den Reparaturbedarf: „Der Sanierungsstau ist im Laufe der vergangenen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgelaufen.“ Die nun vorliegende Auflistung zeige erstmals den tatsächlichen Sachstand. Spätestens mit dem Koalitionsvertrag und den Eckpunkten für die Regierungspolitik habe sich der Senat aber auch zu einer „Investitionsoffensive in die kulturelle Infrastruktur“ bekannt.

Woher sollen die Millionen kommen?

Der Investitionsstau in Höhe von 435 Millionen Euro lasse sich zwar nicht von heute auf morgen abbauen, so der Sprecher der Kulturverwaltung. Die Finanzierung der ersten Maßnahmen sei aber im „Doppelhaushalt 2018/2019“ eingestellt. Im kommenden Jahr will der Senat dazu erstmals die sogenannten Siwana-Mittel auch für die Kulturbauten öffnen. Aus diesem Topf soll die Verwaltung mehr als 50 Millionen Euro im kommenden Jahr für Sanierung und Investitionen in die Kulturelle Infrastruktur schöpfen. Außerdem stehen die Mittel für den baulichen Unterhalt bereit, 20 Millionen Euro jährlich. Noch muss allerdings das Parlament diesen Plänen im Haushaltsentwurf zustimmen. Auf der Liste der Prioritäten ganz weit oben stehen aus Sicht der Kulturverwaltung die Komische Oper, das Märkische Museum und die Probebühne des Berliner Ensembles. Auch die Alte Maierei auf der Domäne Dahlem soll auf neuen Stand gebracht werden.

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