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Saubere Sache in Kreuzberg: Politik mit der Gartenhacke

Wieso sollten Baumscheiben triste Flächen sein? Hobbygärtner in der Reichenberger Straße machen sie zu blühenden Beeten.

Am 15. September will die „Politische Baumscheibe“ (diepolitischebaumscheibe.wordpress.com) im Rahmen unserer Aktion "Saubere Sache" ihre Beete aufräumen und neue Pflanzen setzen. Treff für alle, die mithelfen oder sogar halbschattentaugliche Pflanzen beisteuern wollen, ist um 10.30 Uhr, Reichenberger Str. 98. Sie wollen mitmachen, aber an anderer Stelle aktiv werden? Hier können Sie Ihre eigene "Saubere Sache"-Aktion anmelden und mit dem Tagesspiegel in Kontakt treten.

Kiezgärtnerinnen. Karin Biel, 70, und Britta Bredel, 44, bei der Pflanzenpflege – an der Baumscheibe in der Reichenberger Straße. Foto: Georg Moritz
Kiezgärtnerinnen. Karin Biel, 70, und Britta Bredel, 44, bei der Pflanzenpflege – an der Baumscheibe in der Reichenberger Straße. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Zwischen gelben Sonnenblumen und purpurfarbenem Blutwegerich rupfen Brita Bredel (44) und Karin Biel (72) Unkraut aus der kleinen Gartenfläche, die um einen Baum auf dem Bürgersteig der Reichenberger Straße in Kreuzberg eingezäunt ist. Neben das Beet haben die Anwohner ein Schild gestellt, das an die Zeit im geteilten Berlin erinnert: „Sie betreten den von Bürgern bepflanzten Sektor“, steht da auf Englisch, Türkisch und Französisch.

Das Schild macht klar: Hier geht es um mehr als nur um Gartenbau. Die Hobbygärtner am östlichen Ende der Reichenberger Straße nennen ihre Initiative „Politische Baumscheibe“. In der Innenstadt ist die Fläche rund um einen Baum meist klein, an der Reichenberger Straße aber sind die Baumscheiben besonders groß. Die Anwohner haben auf diesen Flächen kleine Gärten angelegt. Sie verstehen ihre Initiative als politisch, weil sie sich damit ganz handfest in die Gestaltung ihres Kiezes einmischen. „Wir glauben, der Bezirk ist weder finanziell noch personell in der Lage, sich so um die Flächen zu kümmern, wie wir uns das vorstellen“, sagt Brita Bredel.

Schon seit 2009 bepflanzen die Anwohner regelmäßig die Baumscheiben. Jeweils zwei sorgen dafür, dass die Rondelle vor ihrem Haus regelmäßig bewässert werden. Auch eine Kita und ein Café in der Straße machen mit. Eine Apotheke betreut auf einer Baumscheibe einen Kräutergarten. Bei Brita Bredel laufen alle Fäden der lose organisierten Initiative zusammen. Die Mediengestalterin betreibt eine Website zur Aktion und ist Ansprechpartner für die Behörden.

Die Gegend rund um die Reichenberger Straße hat sich, wie viele andere Kieze in Kreuzberg, in den letzten Jahren sichtbar verändert. Überall gibt es neue Cafés und Kneipen. Viele Wohnungen wurden saniert und haben ein zahlungskräftiges Publikum angezogen. Dadurch steigen die Mieten. Viele alteingesessene Bewohner fürchten, aus dem Kiez verdrängt zu werden. Das bekommt auch die „Politische Baumscheibe“ zu spüren. „Es haben uns schon Leute vorgeworfen, dass wir Mitschuld an den Mieterhöhungen haben, weil wir mit unserer Arbeit die Wohngegend aufwerten“, sagt Brita Bredel. Das bringt die Hobbygärtner in eine paradoxe Situation: „Wir wollen unseren Kiez verschönern. Aber gleichzeitig müssen wir fast aufpassen, dass er nicht zu schön wird. Eine gewisse Unordnung soll ja bleiben.“

Die Bezirksverwaltung stutzte die Beete

Die Kiezgärtner sind inzwischen offiziell für ihre Baumscheiben verantwortlich. Es gibt für die Flächen einen Pflegevertrag mit dem Bezirk. Das hält die Bezirksverwaltung nach Angaben der Anwohner nicht davon ab, sich gelegentlich recht unsensibel in die Bewirtschaftung der Baumscheiben einzumischen. Britta Bredel erzählt: „Wenn Arbeiter zum Beschneiden der Bäume vorbeikommen, müssen wir schon mal sagen, Vorsicht, Sie stehen da mitten in einem Blumenbeet.“ Die Pflanzen der Anwohner wurden auch schon drastisch von Mitarbeitern des Bezirksamtes gestutzt – ein „Abstimmungsproblem“, wie das Amt einräumt.

Nicht nur die Behörden setzen den Beeten zu. Passanten rupfen Blumen aus der Erde, sind um Ausreden nicht verlegen. „Da hört man lustige Geschichten, etwa: Ich bin so verliebt und brauche dringend Blumen“, erzählt Brita Bredel. Auch Hunde nehmen wenig Rücksicht. Die Pflanzaktivisten haben deshalb einen harmlosen, aber wirkungsvollen Schutz installiert: ein paar Schnüre, die zwischen den Pflanzen gespannt sind.

Die Hobbygärtner der „Politischen Baumscheibe“ sind überzeugt, dass sich ihre Arbeit lohnt. Sie berichten von vielen positiven Rückmeldungen aus dem Kiez. Auch von solchen, die sie nicht erwartet haben. „Da steht dann schon mal ein von oben bis unten tätowierter Punk vor dem Beet und freut sich über die Blütenpracht.“

Am 15. September will die „Politische Baumscheibe“ (diepolitischebaumscheibe.wordpress.com) im Rahmen unserer Aktion "Saubere Sache" ihre Beete aufräumen und neue Pflanzen setzen. Treff für alle, die mithelfen oder sogar halbschattentaugliche Pflanzen beisteuern wollen, ist um 10.30 Uhr, Reichenberger Str. 98.

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