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Gartenguerilla. Petrus Akkordeon aus Lichterfelde pflanzt seit Jahren Blumen auf der Verkehrsinsel an der Königsberger Straße.

©  Thilo Rückeis

Gemeinsame Sache in Steglitz-Zehlendorf 2014: Der Garten ist die Stadt

Kräuterbeete am Potsdamer Platz? Oder bunte Blumen auf einer Verkehrsinsel? Guerilla Gardening nennt sich das Phänomen der urbanen Begrünung - ein Gärtner lädt zu einer Wanderung durch Steglitz ein.

Petrus Akkordeon hat die Gärtnerstraße knapp verfehlt. Dabei würde kein Straßenname in Berlin besser zu ihm passen, denn Akkordeon ist Gärtner – aus voller Leidenschaft. Seit er klein ist, pflanzt, gießt, sät und harkt er den Garten eines großen Wohnhauses in Lichterfelde Ost, nur wenige Gehminuten von der Gärtnerstraße entfernt. Vor ihm hat bereits sein Vater das Grundstück gepflegt, Akkordeon saß als kleiner Junge daneben, sah ihm beim Heckenschneiden und Sonnenblumenpflanzen zu – und sein Berufswunsch stand fest. Noch heute sitzt der 42-Jährige oft in diesem Garten unter einem Pflaumenbaum, den er selbst gepflanzt hat, hinter ihm leuchten gelbe Sonnenblumen und rote Heckenrosen um die Wette. Unter seinen Fingernägeln klebt Erde, durchs hohe Gras schleicht eine Katze.

Guerilla-Gärtner erobern die Stadt zurück

Gärtner ist er, aber auch Berater, Illustrator für Buchverlage, und sogar als Butler arbeitet Akkordeon. Er brauche einen Garten zum Leben wie ein Baum das Wasser, sagt er. Auf einem zubetonierten Platz würde er „eingehen“ – wenn er nicht immer seinen eigenen kleinen Garten dabei hätte. Wie neulich auf dem Potsdamer Platz, als Akkordeon umgeben von Hochhäusern und Autos einen Klappspaten, eine Flasche Wasser und ein Dutzend Heidekräuter herausholte und diese in die Fugen zwischen den Betonplatten pflanzte.

Was sich verrückt anhört, ist doch lediglich die Weiterführung von dem, was Akkordeon ja ohnehin macht: gärtnern – nur eben an ungewöhnlichen öffentlichen Orten. „Guerilla Gardening“ wird das Phänomen genannt, das als Protestbewegung im New York der 70er Jahre entstand und bei dem Aktivisten durch das heimliche Aussäen von Pflanzen zunächst politische Ziele wie die „Rückeroberung der Stadt“ verfolgten. Mittlerweile verbinden die meisten Guerilla-Gärtner den Protest mit dem Nutzen einer Ernte und der Verschönerung trister Innenstädte.

Wenn Petrus Akkordeon, der schon beim ersten Aktionstag „Saubere Sache“ dabei war, Blumen auf dem Potsdamer Platz, Paprika vor dem Kanzleramt oder Kürbisse am Teltowkanal pflanzt, möchte er vor allem „Orte verändern, die vorher unwirtlich erschienen.“ „Man hat eine ganz andere Verbindung zu Plätzen, wenn man dort selbst etwas beeinflusst hat. Die ganze Stadt wird zu einem riesigen Garten“, sagt er. Wenn Akkordeon von den Insekten und Vögeln spricht, die jetzt auf Verkehrsinseln oder Alleen, die er vor allem in Lichterfelde begrünt und gepflanzt hat, leben, leuchten seine Augen. Er klingt stolz und sagt: „Ich mache das aus purer Freude“. Seit Jahren kümmert er sich etwa um die Verkehrsinsel an der Königsberger Straße und setzt dort immer wieder neue Blumen.

Blumen pflanzen kann strafbar sein

Diese Freude lässt sich auch durch die Berliner Grünflächenämter nicht schmälern, deren Mitarbeiter seine Arbeit mitunter im Nu wieder dem Erdboden gleichmachen. Akkordeon ist Optimist: „Selbst wenn eine von mir gepflanzte Blume irgendwann platt getrampelt ist oder niedergemäht wurde, weiß ich, dass sie für einen gewissen Zeitraum den Ort verschönert hat. Am nächsten Tag pflanze ich dann halt eine neue.“

So einfach ist das für Akkordeon, obwohl die rechtliche Lage eigentlich eindeutig ist: „Wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache verändert, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es im Strafgesetzbuch. Schreckt ihn das nicht ab? „Nein, bisher ist noch nie etwas passiert und niemand hat sich beschwert.“ Im Gegenteil, die Leute freuten sich über die Blumen und Bäume, die „ganz plötzlich über Nacht“ zu wachsen scheinen.

Beim diesjährigen Aktionstag für ein schönes Berlin will Akkordeon andere Berlinerinnen und Berliner in die Kunst der floristischen Stadtverschönerung einweihen. Er plant mit möglichst vielen Mitstreitern „eine Wanderung durch Steglitz, in der man redet, aufräumt und gärtnert“ – etwa Blumenzwiebeln setzt. Vielleicht wachsen vor dem Einkaufszentrum Boulevard Berlin hinterher ja Heideröschen – oder Kartoffeln.

Treffpunkt der Helfer am Sonnabend, 13. September, 11 Uhr, ist der S-Bahnhof Lichterfelde, Ausgang Bahnhofstraße.

Nora Tschepe-Wiesinger

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