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Etwa 30 Freiwillige Helfer sind auf dem Markusplatz in Steglitz unterwegs sind. Sie jäten Unkraut, säubern die Wege, sammeln Müll, bepflanzen die Beete.

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Gemeinsame Sache in Steglitz-Zehlendorf 2016: Sisyphusarbeit im Südwesten

Kinder freuen sich über Müll und putzen "ihren" Wald. Hazrat aus Afghanistan möchte etwas zurück geben und eine Aktivisten kämpft gegen verschmutzte Gewässer.

Ein paar Plastikteile hebt Angelika Heckmann für eine Ausstellung auf. Die Frau mit den kurzen blonden Haaren möchte mit dem britischen Projekt "Dirty Beach Brighton" eine Veranstaltung in Berlin organisieren. Die Aktivisten verpacken beispielsweise Flaschendeckel in kleine Einkaufsnetze oder stellen die leeren PET-Flaschen in ein Supermarktregal, um zu zeigen, welche Dimension die Verschmutzung der Gewässer annimmt.

„Meeresschutz fängt bei den Flüssen an“, sagt Heckmann, die bereits zum vierten Mal in Folge am Aktionstag teilnimmt. Sie schnappt sich eine Müllzange und läuft zum Havelufer. Es gibt viel zu tun. „Die Flüsse tragen die Plastikflaschen in die Meere und richtig zersetzen tun die sich nie.“

Sie werden nur immer kleiner. Auch bei ihrer Arbeit für den Verein „Project Blue Sea“ beschäftigt sie das Thema. Aber Flaschen sind nicht das einzige Problem, auch Grillschalen, Badehosen und eine Brille haben die 15 Freiwilligen am Havelufer gefunden und in Säcken gesammelt, die dann von der BSR abgeholt wurden.

Im vergangenen Jahr füllten sie 20 Müllsäcke, und das, obwohl sie nur 400 Meter Ufer säuberten. „Eigentlich bräuchten wir einen monatlichen Termin“, sagt Heckmann, „sonst kommt man gar nicht hinterher."

Angelika Heckmann säubert das Zehlendorf Havelufer.
Angelika Heckmann säubert das Zehlendorfer Havelufer.

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Obstbäume im Stiftungsgarten in Zehlendorf

Einen Naschgarten mit Blaubeeren, Johannisbeeren und Himbeeren gibt es schon, auch ein Hochbeet mit Erdbeeren errichteten freiwillige Helfer im Garten der Seniorentagespflegestätte der Hildegard Gräfin von Königsmarck Stiftung in Zehlendorf, aber drei Bäume sind leider kahl - und die wurden beim diesjährigen Aktionstag ersetzt.

Obstbäume im Stiftungsgarten in Zehlendorf werden gepflegt.
Obstbäume im Stiftungsgarten in Zehlendorf werden gepflegt. Freiwillige

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Am Eingang wiesen bunte Luftballons den Freiwilligen den Weg in den Garten, in dem bereits die kleinen Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäume warteten. Seit 15 Jahren organisiert die Tagespflegestätte einen Freiwilligentag, erinnert sich Geschäftsführerin Jutta Wiemer und nennt die Helfer ihr „Stammpublikum“.

„Besonders schön ist, dass viele immer wieder kommen, zum Beispiel für unsere Kräuterspirale, oder den Rundweg durch den Garten, den die Senioren gerne nutzen.“ Die pflegebedürftigen Menschen wohnen zwar zu hause, verbringen den Tag jedoch in Gemeinschaft bei Gymnastik, Spaziergängen und Ausflügen und essen zusammen.

Sisyphusarbeit am Siepsteig

Die Sonne beginnt langsam den südlichen Teil Berlins zu wärmen, als sich das Scharen von Laubharken unter das Vogelgezwitscher mischt. Hund Bruno trottet mit Frauchen Annette Simon durch den Siepesteig in Zehlendorf und freut sich über das Engagement der Freiwilligen. "Es macht großen Spaß und erfüllt uns alle", sagt Simon und krault ihren Hund. "Aber es ist eine Sisyphusarbeit." Gemeinsam haben sie Müll gesammelt und den Bürgersteig gefegt.

Gemeinsame Sache am Markusplatz

„Heute ist etwas weniger los als sonst“, sagt Elke Lübbeke, was verwundert, da etwa 30 Freiwillige Helfer auf dem Markusplatz in Steglitz unterwegs sind. Sie jähten Unkraut, säubern die Wege, sammeln Müll, bepflanzen die Beete. Die 64-jährige gehört zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Markusplatz, die nicht akzeptieren wollten, dass die Gründffläche kaum noch jemand nutzte, so vermüllt und verwuchert war sie.

Doch dann kam 2013 der Aktionstag Saubere Sache und dem Aufruf auf ein paar Zetteln an Bäumen folgten direkt 50 Anwohner, die sich seither regelmäßig um den Platz kümmern. Und der kann sich sehen lassen! Landschaftsplaner Jörn Klick hat einen Pflanzplan angefertigt, der auch das zunächst skeptische Grünflächenamt beeindruckte.

„Dazu gehört beispielsweise das Farbkonzept, jetzt im Herbst dominieren gelbe Blüten“, sagt der Mann mit Brille und Basecap. Für die Beete, um die sich Schulklassen kümmern, wählte er Kräuter aus, die sich besonders anfühlen oder duften. Die Idee für das Konzept kam Elke Lüddeke und ihrem Mann während sie durch Andernach am Rhein spazierten. Das Motto „Pflücken erwünscht statt betreten verboten“ inspirierte die beiden derart, dass sie es unbedingt nach Berlin bringen wollten.

{Aktionen Freitag}

Der Kirchturm der Matthäus Gemeinde Berlin-Steglitz ist von Baugerüst umgeben, Bauarbeiter genießen die Mittagssonne, rauchen, trinken Cola. Es klimpert, als Pfarrerin Rajah Scheepers die Zäune auseinanderzieht. "Gerade haben wir das neue Kreuz hochgefahren", sagt sie und lächelt. Und schon geht es nach oben, 68 Meter mit dem Gerüstaufzug dauern etwa eine Minute.

Ein paar wacklige Leitern später hat man eine tolle Aussicht auf Berlin und den schwindelnd tiefen Kirchplatz. Das Kreuz ist über vier Meter groß und wird gerade vergoldet. Am kommenden Sonntag, 11. September, findet um 9.30 Uhr ein Festgottesdienst mit Bischof Markus Dröge statt.

"Heute gibt es Aktion auf allen Ebenen", sagt Pfarrerin Scheepers und muss direkt weiter zur Besprechung. Denn auch auf der Grünfläche wird geackert. Zwei ehrenamtliche Lehrerinnen säubern gemeinsam mit ihren Schülern Hazrat und Auranzeb den Rasen von Unkraut und Müll. Auch Bierflaschen und Kippenstummel haben sie entfernt.

Die Nordamerikagruppe des Tom-Sawyer Kinderhaus ist bereits zum dritten Mal beim Aktionstag "Gemeinsame Sache" dabei.
Die Nordamerikagruppe des Tom-Sawyer Kinderhaus ist bereits zum dritten Mal beim Aktionstag "Gemeinsame Sache" dabei.

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Hazrat kommt aus Afghanistan und ist stolz auf seine "Oma", wie er seine Lehrerin Hedi nennt. "Sie hat so viel für uns gemacht". "Aber diesmal macht ihr auch viel für uns", sagt die blonde Frau und lacht. Normalerweise treffen sie sich vier oder fünfmal pro Woche zum Deutsch lernen oder Kochen. "Seit kurzem haben wir eine Wohnung in Wannsee, acht Monate Heim mit 300 anderen waren genug", sagt Hazrat, dreht sich um, und eilt einem älteren Herrn zu Hilfe, der eine Schubkarre voll Laub eine Treppe hochheben möchte.

Sind Nacktschnecken auch Müll?

„Sind Nacktschnecken auch Müll?“, fragt Liam, fünf Jahre alt aus Zehlendorf. Die Nordamerikagruppe des Tom-Sawyer Kinderhaus ist bereits zum dritten Mal beim Aktionstag „Gemeinsame Sache“ dabei. Für Erzieherin Nina selbstverständlich. „Das ist für die Kinder genau das richtige, viele freuen sich schon drauf!“.

Schnell war klar, welches Gebiet sie in diesem Jahr säubern wollen. „Unseren Wald!“, sagt Liam und meint damit das Stück Grunewald hinter dem Waldfriedhof. Hier kommen sie oft zum Spielen vorbei. Die 20 Kinder sind kaum zu übersehen, zwanzig orangene Westen zuckeln durch das Gestrüpp. Die Nacktschnecke darf natürlich an ihrem Platz bleiben. Dafür hat Liam mit seinen Freunden eine Brille und eine leere Bonbontüte entdeckt.

Die Zange hält die Bakterien fern

"Wir fegen die Natur sauber" Die rote Gruppe der Kita Forststraße in Steglitz sitzt mit Straßenschuhen in dem Raum, in dem die Vorschulkinder normalerweise Fische basteln oder lernen. Aber heute ist alles anders. „Die Zange hier ist zum Kneifen, oder?“ fragt die Erzieherin Conny schnippisch in die Runde. „Neeeein!“, rufen die Kinder.

„Zum Fegen“, sagt Alicia. Die Fünfjährige will mit ihren zwölf Freunden das Kitagelände und den Spielplatz aufräumen. „Und die Zange haben wir wegen der Bakterien“, erklärt sie. „Die Weste pieckst ein bisschen“, sagt Louis, vier Jahre alt.

„Aber sonst sieht man uns nicht!“ Und das wäre ja schade. „Kehrbürger“ steht auf den orangenen Westen. „Es geht loooos! Müll! Müll! Müll“, rufen sie und eilen nach draußen. Und davon gibt es jede Menge. Stolz präsentieren sie Chipsdosen und Plastikfetzen wie kleine Schätze. „Jetzt können wir besser spielen“, sagt Alicia.

Putzen im Mörchinger Kiez

Letztes Jahr wars dreckiger“, sagt Ari Shulov und lacht. Damit die Anwohner der ökologischen Siedlung im Mörchinger Kiez nicht nebeneinander her leben, treffen sie sich regelmäßig im Nachbarschaftshaus Wannseebahn – und sind bereits zum dritten Mal beim
Aktionstag „Gemeinsame Sache“ mit dabei. Arie Shulov läuft mit Kehrblech und Zange voran, die Kinder ihm hinterher. Nachmittags kommen sie gerne zum Kochen und Spielen ins Nachbarschaftshaus, oder um die Hausaufgaben zu machen. Außerdem gibt es eine Zirkus-AG und das Schülerclubcafé, bei dem sie backen und den Kuchen an Freunde und Eltern verkaufen.

Laubpflege am Marienplatz

Laubpflege und Säuberungsaktion am Marienplatz durch die Kiezinitiative „Marienplatz und umliegende Straßen“. „Wir sind ein richtiges, soziales Netzwerk“, sagt Cornelia Hettrich, eigentlich TV-Produzentin, heute mit weißem Kiezinitiativen T-Shirt und Laubkehrer in der Hand. Gemeinsam mit weiteren Anwohnern fegt sie das Laub von den Wegen, putzt die Parkbänke und pflegt das selbstangelegte Rosenbeet.

Auch eine Ausgabe für Hundekotbeutel haben sie aufgestellt. Trotz des ganzen Engagements komme vom Bezirk wenig. „Der Platz ist sehr dunkel“, sagt Hettrich, „ein wenig Unterstützung vom Grünflächenamt wäre schön.“ Informationen über die regelmäßigen Treffen der Initiative sind im Internet unter www.kiezmarien.de zu finden.

Putzige Genossen

Neun Genossen und ein Chef: Auch etwas Berliner Politikprominenz ist beim Aktionstag “Gemeinsame Sache” mit von der Partie. Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen zieht sich eine orangene Weste über den dunklen Anzug und macht sich an die Arbeit. Man wollte sich sowieso mal wieder beim Aktionstag engagieren, sagt ein Mitarbeiter und dann ist ja auch noch Wahlkampf und dann liegt der Carmerplatz auch noch in Kollatz-Ahnens Wahlkreis.

„Dreckig machen geht schnell, sauber machen dauert“, weiß der Senator und fischt eine splittrige Bierflasche aus dem Sandkasten. „Wenn ein Park sauber ist, erhöht sich auch die Hemmschwelle, etwas wegzuwerfen“, sagt er. Und ehrenamtliches Engagement schärfe das Bewusstsein für ein soziales Miteinander.

Im Wahlkampf putzt die Lankwitzer SPD besonders gern. Der Abgeordnete Michael Arndt funktioniert ein Wahlplakat zum Kehrblech um, die Parkbänke werden neu gestrichen und der Platz um den S-Bahnhof Lankwitz von Müll befreit. „Schnappsflaschen bis der Arzt kommt“, sagt eine Mitarbeiterin.

Medizin hilft

Eigentlich sollte es solche Fälle gar nicht geben. Dennoch, schätzt das Bundesamt für Gesundheit, leben 80.000 Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung. „Die Dunkelziffer wird deutlich höher liegen“, sagt Christian Hoffmann vom Verein Medizin hilft e.V. „Zum Beispiel Geflüchtete, die nicht registriert wurden, Obdachlose, Menschen, die aus der privaten Versicherung ausgeschieden, aber noch nicht in der gesetzlichen sind.“ Für diese Menschen richtet der Verein eine Anlaufstelle zur medizinischen Beratung in der Superintendentur der Pauluskirche in Zehlendorf ein.

Viele Praxen, Ärzte und Pfleger kooperieren mit dem Verein. „Hier soll jeder, in welcher Lebenslage auch immer, Hilfe bekommen“, sagt Jens Schmidt, ein Krankenpfleger, der sich im Verein engagiert. Gerade läuft die Kaffeemaschine, schon kommt die erste Helferin herein. Dominique hilft mit, die Regale aufzubauen. „Ich wollte unbedingt beim Aktionstag mitmachen und dieses Projekt klingt spannend!“, sagt sie.

Kurze Verschnaufpause auf der selbstgebauten Parkbank im Mörchinger Kiez in Steglitz-Zehlendorf.
Kurze Verschnaufpause auf der selbstgebauten Parkbank im Mörchinger Kiez in Steglitz-Zehlendorf.

© Tsp

Simon Grothe

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