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Berlin: Schachfreunde unter sich

Kreuzberg und Neukölln beenden die Bundesliga im Mittelfeld

Der Neuköllner Schachspieler Rainer Polzin konnte es nicht fassen: Für die letzten fünf Züge vor der Zeitkontrolle blieben ihm unlängst im Berliner Willy-Brandt-Haus im Kampf gegen St. Ingbert nur noch 13 Sekunden. Polzin zog viermal innerhalb von fünf Sekunden. Für den letzten Zug blieben ihm noch acht Sekunden. Der Mannschaftskapitän glaubte es in der letzten Sekunde geschafft zu haben, doch die Anzeige der neuen elektronischen Uhr überforderte offenbar nicht nur beide Spieler, sondern auch Schiedsrichter Matthias Möller. Dieser gab die Partie wegen Zeitüberschreitung verloren.

Zunächst fügte sich Polzin kopfschüttelnd in sein Schicksal. Neukölln hatte zwar am vorvergangenen Wochenende die Abstiegssorgen mit einem 4:4 gegen Hofheim hinter sich gelassen, eine Niederlage gegen St. Ingbert wäre jedoch eine Überraschung gewesen. Polzin wagte zögerlich einen Protest, und schließlich überprüfte der Schiedsrichter die Funktion der Uhr erneut. Dann bemerkte er, dass er sich geirrt hatte, und ließ die Partie von den verwirrten Spielern fortsetzen. Nach wenigen Zügen einigten sich Polzin und Emmanuel Bricard auf ein Remis. Die Begegnung zwischen beiden Teams endete schließlich 4:4, was den Berlinern zum Abschluss der Schach-Bundesliga den zehnten Platz punktgleich mit den SF Katernberg sicherte. An der Tabellenspitze wird erst ein Stichkampf zwischen dem SC Baden-Oos und der SG Porz vom 7. bis zum 9. Mai die endgültige Entscheidung über den deutschen Mannschaftsmeister bringen.

Der Kreuzberger Schachclub landete in dieser Saison auf Rang acht und bewährte sich als zweite Berliner Mannschaft in der Bundesliga. Präsident Norbert Sprotte sagt: „In der letzten Saison hatten wir mit 9:1-Punkten einen fantastischen Start und fielen danach ab. In diesem Jahr aber waren wir von Anfang an in den Miesen.“ Der respektable Platz im Mittelfeld hinter dem vielfachen Deutschen Meister Solingen war das Ergebnis eines erfolgreichen Schlussspurts. „Doch es macht auf Dauer natürlich wenig Spaß, nur im Mittelfeld herumzudümpeln“, sagt Sprotte. „Eigentlich hätten wir drei oder vier Plätze höher landen sollen.“

Damit Kreuzberg beim nächsten Mal auch um die Spitze kämpfen kann, hat Sprotte als Neuzugang den 22-jährigen Levon Aronian angekündigt. Der frühere Jugendweltmeister aus Armenien strebt die deutsche Staatsbürgerschaft an und zieht nach Berlin. Zuvor spielte Levon Aronian bei Wattenscheid und hat sein Talent zuletzt bei einem Spitzenturnier in Island bewiesen: Im Blitzschach ließ er die Weltspitze samt Garri Kasparow hinter sich.

Nicht nur Kreuzberg, auch die Neuköllner gehören längst zur Bundesliga dazu. Neben Katernberg gelten sie jedoch als Sonderfall, weil das Team neben drei Profis aus dem Ausland größtenteils aus Amateuren besteht. Der Kern der Mannschaft spielt zum Vergnügen und zahlt einen Teil der Reisespesen selbst. Die Neuköllner suchen noch Sponsoren, zumal weitere Reisekosten auf den Klub zukommen, weil die zweite Mannschaft in die Zweite Bundesliga aufgestiegen ist.

Die Bundesliga gilt immer noch als stärkste Schachliga der Welt. Viele Stars spielen jedoch bereits in mehreren europäischen Ligen gleichzeitig. So findet das Finale am kommenden Wochenende in Baden-Baden statt, was beide Finalteams gutheißen. So können sie ihre Spitzenleute, die beinahe zeitgleich in der französischen Liga spielen, gerade noch rechtzeitig zurück nach Deutschland holen.

Fernando Offermann

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