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Schön verpackt. Sauber ist Berliner Luft aber nicht immer.

© Promo/Erfinderladen Berlin

Schadstoffmessung in Berlin: Schlechte Messwerte der Berliner Luft – auch in Kitas und Wohnungen

Wie viele Schadstoffe sind in der Luft? Wegen des VW-Skandals hat Greenpeace nachgemessen – mit beunruhigenden Resultaten. Auch in den Innenräumen sind die Messergebnisse schlecht.

Wer glaubt, gefährliche Abgase in der Luft nur an stark befahrenen Straßen einzuatmen, kann ganz schön daneben liegen. Das geht aus Messungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace hervor, die im Herbst die Belastung der Berliner Luft mit giftigen Stickstoffdioxiden (NO2) ermittelt hat. Der Dieseldreck macht auch vor heimischen Schlafzimmern und Kitas nicht halt. An diesem Freitag werden die Ergebnisse veröffentlicht. Anstoß der Analysen war für Greenpeace der VW-Skandal im September, als der Automobilkonzern zugab, Werte von NO2-Ausstößen bei Dieselmotoren manipuliert zu haben. Dieselfahrzeuge sind die Hauptverursacher der Luftverschmutzung durch gesundheitsgefährdende Stickstoffdioxide.

Heraus kam etwa, dass die Luft in einer Kita, die in Berlin-Mitte in einer verkehrsberuhigten Ecke steht, 48 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter enthielt. In einer Wohnung, genauer in einem Schlafzimmer in der Chausseestraße ebenfalls in Mitte, waren es sogar 79,5 Mikrogramm und somit fast das Doppelte des zugelassenen Grenzwerts. „Dass auch innerhalb von Räumen die Grenzwerte so deutlich überschritten wurden, hat uns überrascht“, sagt der Greenpeace-Aktivist Daniel Moser, der mit seinem Team die Messungen vorgenommen hat.

EU-weit darf zum Schutz der menschlichen Gesundheit seit 2010 ein Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt höchstens 40 Mikrogramm NO2 enthalten. Von den 36 Stellen, deren Luftqualität die Umweltschützer untersuchten, überschritten 28 diesen Grenzwert, fünf von ihnen um mehr als das Doppelte. Berlin verletzt wie andere Großstädte, allen voran Stuttgart und München, seit Jahren an verkehrsreichen Messstationen die Vorgabe der Europäischen Union.

Die Daten wurden in Kitas, Wohnungen und Schulen erhoben

Das Besondere an den Greenpeace-Messungen: Die Daten wurden an „lebensnahen Orten“ erhoben, also in Innenräumen wie Wohnungen, Kindertagesstätten und Klassenzimmern. Die Werte können als Ergänzung gesehen werden zu den 16 Stationen des Berliner Luftgütemessnetzes Blume. Die stehen seit 1975 im Stadtgebiet verteilt, fünf von ihnen im Straßenverkehr. Doch „da hält sich niemand lange auf,“ sagt Moser.

Umweltphysiker der Universität Heidelberg unterstützten Greenpeace mit neuester Messtechnik. An einem Stativ befestigten sie auf menschlicher Durchschnittshöhe einen Schlauch, der die Luft in einen kleinen Messkasten saugte.

Da Kinder besonders gefährdet sind, maß das Team auch auf zwei Kreuzberger Spielplätzen die Luftverschmutzung, das Schlauchende befestigten sie auf Kleinkindnasenhöhe: Der Spielplatz an der Skalitzer Straße toppte mit 69 Mikrogramm NO2-belasteter Luft pro Kubikmeter den in der Naunynstraße mit 45 Mikrogramm. Ebenso sah es in dem untersuchten Klassenzimmer in Mitte aus: Dort lag der Wert ebenfalls bei 45.

Besonders Kinder sind von den schlechten Messwerten betroffen

Der Epidemiologe Joachim Heinrich vom Helmholtz Zentrum München zählt drei Faktoren auf, die dazu führen, dass Stickstoffdioxide besonders für die Atemwege der Kinder gefährlich sind: „Das Immunsystem der Lunge ist noch nicht ausgereift, und da Kinder meist durch den Mund atmen, dringt die Luft weniger gefiltert in die Lunge.“ Und schließlich atmen die Kleinen mitunter in Auspuffhöhe, wo die Luft besonders belastet ist.

Doch wie schädlich ist Stickstoffdioxid für uns Menschen genau? Langzeitbelastungen führen zu einem deutlich höheren Risiko für Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es gebe, so Heinrich, auch eine klare Evidenz höherer Sterblichkeit.

Aber auch kurzzeitige Belastungen mit Stickstoffdioxiden verschlechtern Symptome bei bestehenden Krankheiten, etwa bei Asthma. Und, betont Heinrich, „das Vorkommen der giftigen Gase unterhalb des Grenzwertes bedeutet nicht, dass sie gesundheitlich unbedenklich sind“.

Um die Daten mit den Jahresmittelwerten von Umweltämtern vergleichen zu können, errechneten die Heidelberger Physiker einen prognostizierten Jahresmittelwert für die einzelnen Stationen.

So konnten Werte ermittelt werden, die etwas besser aussehen, aber teilweise immer noch bedenklich sind: Für die Kita in Mitte, die anonym bleiben möchte, ergibt sich ein geschätzter Jahresmittelwert von 27 – das läge also unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes. Für das Klassenzimmer ergibt sich ein Schätzwert von 19. Anders sieht es für den Spielplatz in der Skalitzer Straße aus: Dort liegt der geschätzte Wert bei 57, in dem Schlafzimmer in der Chausseestraße gar bei 60 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft.

Am schlechtesten schneidet der Hardenbergplatz ab

Die schlechteste Luft ermittelten die Tester auf den Jahreswert hochgerechnet am Hardenbergplatz mit 83 Mikrogramm Stickstoffdioxide pro Kubikmeter Luft, den zweiten Platz belegt das Rathaus Neukölln mit 70, den dritten die Leipziger Straße in Mitte mit 67. Die frischeste Luft fanden sie mit 14 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter in der Hertastraße in Zehlendorf.

Martin Pallgen, Pressesprecher der Umweltverwaltung, verweist darauf, dass der Senat den öffentlichen Nahverkehr und die Radwege seit 2002 intensiv fördert. „Berlin hat im Vergleich zu den anderen Großstädten die wenigsten Autofahrten. Doch Pallgen beobachtet auch, „dass immer mehr Diesel-Fahrzeuge verkauft werden, nicht zuletzt wegen der geringeren Kraftstoffpreise“.

Um die Grenzwerte in Berlin einzuhalten, seien massive Maßnahmen notwendig: Die NO2-Emissionen müssten bis zu 50 Prozent gesenkt werden. „Das kann eigentlich nur durch Verbote für Dieselfahrzeuge erreicht werde“, sagt Pallgen. Und fügt hinzu, dass „das rechtlich nicht möglich ist, und auch unverhältnismäßig, weil der Wirtschaftsverkehr in Berlin, zum Beispiel Lieferwagen, fast ausschließlich mit Diesel unterwegs ist“.

Bigna Fink

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