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Scharf gewürzte Wetterküche: Vom Rekordmärz zum Aprilwetter

Zu trocken und zu warm: Fast wäre auch der März ein Rekordmonat geworden. Häufen sich die Extreme oder schauen wir nur genauer hin?

Der Regen mischte sich mit Graupel, als sich am Sonnabend der trockenste Berliner März seit Beginn der Wetteraufzeichnungen seinem Ende neigte. Die Schauer am Nachmittag schwemmten quasi im letzten Moment den Dürrerekord von 1921 – nur sechs Liter pro Quadratmeter im ganzen Monat März – weg. Die Chance auf den Wärmerekord hatte der März 2012 schon mit dem Kälteeinbruch am Donnerstag vergeben: Die 1938 gemessenen acht Grad im Monatsmittel, also inklusive der Nachttemperaturen, wurden um 0,6 Grad verfehlt. Was aber bleibt, ist das Gefühl, dass sich die Rekorde häufen. Gibt es tatsächlich ständig neue Extreme da draußen, oder häufen sich eher die einschlägigen Meldungen?

Diese Frage bewegt auch Jörg Riemann, und zwar sowohl dienstlich in seinem Büro beim Wetterdienst Meteogroup an der Gradestraße als auch privat, aus Leidenschaft. Das Berliner Standardwetter besteht für den Meteorologen aus Tiefs über dem Nordmeer und dem Nordatlantik sowie einem Hoch über den Azoren. Fertig ist die „Westlage“, die in Berlin an etwa 70 Prozent aller Tage herrscht. Die häufige Verteilung dieser Druckgebiete ergibt sich aus Sonneneinstrahlung und Erdrotation. Für Temperaturrekorde taugt sie nicht. Sie kann höchstens Stürme bringen, wenn die Druckunterschiede allzu groß werden. Im Winter geht das leichter als im Sommer, weil die Temperaturen über Europa im Winter unterschiedlicher sind: Minus 40 Grad in Lappland und 20 am Mittelmeer – da ist Musike drin. „Orkane mit mehr als 150 km/h sind aber nicht möglich“, sagt Riemann. Stärkere Luftdruckunterschiede lasse die Erdrotation nicht zu.

Eisige Zeiten herrschten noch im Februar:

Für die kurzlebigen, lokalen Tornados gelten andere Kriterien. Dass die bei uns so selten sind, verdanken wir laut Riemann den Alpen. Sie trennen feuchtheiße Mittelmeerluft von arktischer Kälte. In Amerika fehle ein solches „quer liegendes“ Gebirge, so dass Wirbelstürme von der Karibik freie Bahn nach Norden hätten. Weil stattdessen die Rocky Mountains eine Barriere zum ausgleichenden Ozean bilden, schwankt dort die Temperatur viel stärker als bei uns. Für besondere Hitze oder Kälte muss die Luft vom Festland kommen. So wie im Februar, als ein riesiges Hoch über Skandinavien und Russland den Frostwind direkt aus Sibirien zu uns blies. Unterwegs erwärmte sich die Luft immerhin von minus 50 auf etwa minus 20 Grad. „Viel kälter kann es in Berlin nicht werden“, sagt Riemann. „Dazu sind wir zu nahe am Atlantik.“

Bestimmte Wetterkonstellationen treten immer häufiger auf - und bringen Unglück über die Menschen.

Heiter bis schaurig. Wenn der Meteorologe Jörg Riemann das Berliner Wetter erklärt, beginnt er mit der Weltkarte. Weil alles mit allem zusammenhängt, ist auch vieles möglich. Zum Beispiel die von der Wärme geweckten Weidenkätzchen vor einer Woche und der eisige Graupel an diesem Samstag.
Heiter bis schaurig. Wenn der Meteorologe Jörg Riemann das Berliner Wetter erklärt, beginnt er mit der Weltkarte. Weil alles mit allem zusammenhängt, ist auch vieles möglich. Zum Beispiel die von der Wärme geweckten Weidenkätzchen vor einer Woche und der eisige Graupel an diesem Samstag.

© Kitty Kleist-Heinrich; dpa; Kai-Uwe Heinrich

In dieser Nähe liegt der Schlüssel zur Erklärung der scheinbar gehäuften Extreme: Eine Studie der Universität Halle über das Wetter von 1902 bis 2000 ergab, dass sich das Winterwetter um 1950 umgestellt hat: Seitdem kam die Luft viel häufiger aus Westen, was milde, oft regnerische Winter nach sich zog. „Nach meinem Eindruck ändert sich das gerade wieder“, sagt Riemann mit Blick auf die vergangenen drei Winter mit ihren eisigen und teils schneereichen Perioden.

Der März hätte ein Rekordmonat werden können. Es gab Sonne satt:

Im Sommer dagegen häufen sich laut der Studie gleich drei Wetterkonstellationen mit Potenzial zu Extremen: Hochdrucklagen, bei denen wochenlang die Sonne vom blauen Himmel scheint und alles verdorren lässt wie im Sommer 2003. Das Gegenstück sind die ebenfalls gehäuften Troglagen, bei denen ein Tief genau über uns festhängt und tagelangen Regen bringt. Extremfälle waren die schweren Hochwasser von Oder, Neiße und Elbe, die alle bei solchem Wetter entstanden, ebenso der Juli 2011, in dem 200 Liter Regen pro Quadratmeter prasselten. Nur im August 1948 war es noch etwas mehr. Und im Dezember 2010 brachte eine winterliche Troglage die mit 43 Zentimetern höchste Neuschneedecke eines Monats.

Der dritte und spektakulärste Trend ist der zu Südwest-Lagen, bei denen die Luft vom Mittelmeer oder aus Nordafrika kommt. Solange es sonnig bleibt, sind sommerliche Temperaturrekorde drin. Dass der bisherige Höchstwert von 1959 auch in Zeiten des Klimawandels immer wieder knapp verfehlt wurde, zeigt für Riemann, „dass die Natur ihre Grenzen hat“.

Lädt sich der südwestliche Luftstrom mit Feuchtigkeit auf, ergibt das im Sommer Unwetterpotenzial. Dass der Tagesrekord von 125 Litern, die am 14. August 1948 herunterkamen, bisher nicht offiziell überboten wurde, ist Zufall, denn die Referenz-Messstelle befindet sich bei der FU in Dahlem, und die schwersten Gewitter der vergangenen Jahre entluden sich vor allem über anderen Kiezen.

Das Fazit des Meteorologen: Nicht die Extremwerte häufen sich, sondern die potenziell rekordverdächtigen Wetterlagen. „50 Grad werden wir in Berlin auch in Zukunft nicht bekommen. Dank Atlantik und Gebirge sind wir mit unserem Wetter hier schon gut bedient.“

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