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Berlin: Scharfe Töne, harte Worte auf dem Pariser Platz

Tausende Gewerkschafter demonstrierten am Brandenburger Tor gegen Sozialabbau und für Mindestlöhne

Es waren starke Worte, die Frank Bsirske am Mittag in sein Mikrofon rief. „Sollen doch Stoiber und Wulff einmal mitarbeiten!“, forderte der Verdi-Chef auf der großen Bühne vor dem Brandenburger Tor. „Sollen sie doch einmal auf der Intensivstation arbeiten – oder Mülltonnen ziehen, über 20 Kilometer am Tag, über viele Jahre!“ Ja, und dann, rief Bsirske, „werden wir sie nach 35 Jahren fragen, ob sie noch immer für die Rente mit 67 sind!“ Applaus, Applaus, Tausende pusteten in ihre Trillerpfeifen und schwenkten rote Fahnen. Es war zwar laut bei der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, aber es und blieb doch ruhig. Keine Zwischenfälle, meldete die Polizei am Nachmittag. Sie zählte rund 7500 Teilnehmer auf der Straße des 17. Juni, die Veranstalter sprachen von rund 17 000 Menschen.

Verdi-Chef Frank Bsirske griff in seiner Rede die Unternehmen und die große Koalition im Bund gleichermaßen scharf an. „Wohin wir auch schauen, überall wächst der Druck auf Arbeitnehmer“, sagte Bsirske, dessen Rede beim vorwiegend älteren Publikum gut ankam. „Mitreißend, enthusiastisch“ sei der Verdi-Chef gewesen, sagte eine Demonstrantin aus Mitte. Sie sei selbst beim DGB beschäftigt, kenne die Sorgen der Arbeitnehmer „nur zu gut“. So sei eines ihrer Familienmitglieder nach 30 Jahren im Betrieb „einfach rausgejagt“ worden, sagte sie. „Das ist demütigend.“ Viele äußerten sich ähnlich, andere brüllten ihre Wut heraus, am Rande standen Touristen, die sich die Kundgebung samt Bierständen, Frittenbuden und Chinapfannen einmal anschauen wollten. Die Demo war am Morgen am Wittenbergplatz gestartet. Jüngere Teilnehmer trugen Schlüsselbänder mit dem Spruch „Kein Sex mit Nazis“.

Der Berlin-Brandenburger DGB-Vorsitzende Dieter Scholz forderte Mindestlöhne. In Brandenburg benötigten rund 50 000 Menschen einen staatlichen Zuschuss, weil sie von ihrem Lohn nicht leben könnten. In Branchen wie dem Friseurhandwerk und dem Gartenbau würden in der Mark mit 3,05 Euro beziehungsweise 4,71 Euro Stundenlöhne gezahlt, die für ein Überleben kaum ausreichten.

Vor rund 2000 Kundgebungsteilnehmern in Potsdam kritisierten Sprecher von DGB und Verdi die Unternehmer. In vielen Betrieben komme es trotz Rekordgewinnen zu Entlassungen, monierte Verdi-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Stahl. „Verschämte Armut“ sei längst zur Kehrseite „unverschämten Reichtums“ geworden. Die Zeit des Lohnverzichts für Arbeitnehmer müsse vorbei sein.

André Görke

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