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Berlin: Schatzsuche bis zwei Uhr früh

Bei der 20. Langen Nacht der Museen ging es um leidenschaftliche Sammler und ihre Objekte Ein DJ aus Plauen kramte in seinem DDR-Platten-Archiv, und ein kleiner Junge verliebte sich in eine dreieckige Briefmarke

Der Bär sieht traurig aus. Dabei hat er die ganze Nacht Gesellschaft von seinem Leibwächter. Manfred Gräfe spricht jeden an, der vor seinem Schützling stehen bleibt, in der großen Halle des Märkischen Museums am Köllnischen Park. Dann erklärt der Tierpräparator immer wieder, warum der ausgestopfte Braunbär ausnahmsweise für eine Nacht sein „Abstellgleis“ im Depot der naturwissenschaftlichen Sammlung verlassen durfte – zur 20. Langen Nacht der Museen.

„Sammellust und Sammelfrust“ hieß das Motto der Nacht. Zu „Sammelfrust“ fiel den hauptberuflichen Sammlern vom Stadtmuseum sofort etwas ein: „Der entsteht, wenn unsere Stücke nicht ausgestellt werden können“, sagt Gräfe.

Deshalb haben er und seine Kollegen Objekte, die sonst selten zu sehen sind, aus dem Depot geholt. Wie den Bären. Und wie Robert Koch in Öl auf Leinwand. Das einzige in Berlin verfügbare Gemälde, auf dem der Entdecker des Tuberkulose-Erregers zu sehen ist, hat keinen Rahmen. „Hilfe, Robert Koch ist nackt“, steht neben der Spendenbox. Angelika Reimer von der Gemäldesammlung ist Kochs „Begleiterin“ an diesem Abend und achtet darauf, dass sich die Box füllt.

Auch Albrecht Lenk hat seine Sammlerstücke für eine Nacht in ein Museum begleitet. Sie sind nicht zu sehen, sondern zu hören: Im DDR-Museum an der Karl-Liebknecht-Straße legt der 53-Jährige DJ aus Plauen Schlager aus 40 Jahren Deutscher Demokratischer Republik auf. Gerade spielt er „auf Wunsch einer einsamen Dame“ zum dritten Mal „Der Mann mit dem Panamahut“. Die ersten Takte singt er mit. Und wippt mit dem rechten Fuß in weißer Socke mit Sandale. Er habe fast alle Schallplatten des DDR-Plattenlabels Amiga gesammelt, erzählt der korpulente Mann. Das sei mit 1800 Singles und 2500 LPs das größte Archiv Europas. Zu DDR-Zeiten hat der Sachse damit angefangen. Damals hieß sein Beruf noch „staatlich geprüfter Schallplattenaufleger“.

In der Vitrine vor dem DJ-Pult sind alte Packungen des Kaffee-Ersatz-Pulvers „Im Nu“ ausgestellt. Ein Stück weiter eine grüne Registrierkasse. „Was für ein Sammelsurium hier“, kritisiert Besucher Dietrich Kettlitz. Wie sieht es denn bei ihm mit dem Sammeltrieb aus? Er habe eine Münzsammlung, sagt der 76-Jährige Hobbyhistoriker. „Ich glaube jeder sammelt irgendetwas.“ Wie Heike Henke. Sie bewacht beruflich eine Sammlung alter Radios im Museum für Kommunikation. Privat sucht sie auf Flohmärkten nach Sammeltassen aus Omas Zeiten.

Junge Sammler waren am frühen Abend im Prenzlauer Berg Museum zu finden. „Oah, Mami, die ist toll“, ruft der siebenjährige Robin. Und hält eine dreieckige Briefmarke mit einem Schmetterling in die Höhe. Die Marke hat er aus einem großen Plastikbehälter gefischt, indem Tausende Briefmarken liegen, jede für einen Cent. Der 21-jährige Tobias, ein blasser Brillenträger, bewacht den Trog und nimmt für jede Marke das Geld entgegen – für die Jugendarbeit der „Jungen Briefmarkenfreunde Berlin“. 20 000 Briefmarken habe er schon gesammelt, erzählt er, und Robins Mutter wirft ein, dass sie das nicht so professionell betreiben würden. Drei Alben hätten sie allerdings schon voll. „Wenn man schöne Sachen findet, ist man ganz stolz“, sagt Robin und wühlt weiter in den Marken. Er nimmt das Sammeln ernster als seine Mutter. Über seine Fußballbildchen von Panini führt er lange Listen.

Weniger jugendfreies Sammelgut war im Hanfmuseum am Mühlendamm zu sehen. Eigens für die Museumsnacht gab es dort eine neue Sonderkollektion besonderer Art: Plastiktüten, in denen einmal Marihuana war. „Kiffer gegen Nazis“ steht auf einer kleinen Tüte. „Socialist“ auf einer anderen. „Wir haben Aufrufe in Kifferforen gestartet“, erzählt Mitorganisator Rolf Ebbinghaus. Die meisten Spenden waren anonym.

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