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Die  Gedenktafel für das Alte Eierhäuschen hängt am Gebäude selbst, das zwischen Spreeufer und Plänterwald steht (Treptow).

© Christian Adam

Schauplatz Berlin (Auflösung 25): „O weh, ein Palazzo“

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2861 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Hier finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auflösung zu unserer fünfundzwanzigsten Folge.

Das Ziel der Landpartie ist nicht allen Romanfiguren Fontanes, die diesen Ort im 14. / 15. Kapitel seines „Stechlin“ Ort ansteuern, bekannt. „Ein Glück, daß wir Decken mitgenommen haben. Oder gibt es auch Zimmer da?“ fragt die Gräfin. Der Ortskundige: „Ich sehe, Sie rechnen auf etwas extrem Idyllisches und erwarten, wenn wir angelangt sein werden, einen Mischling von Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer aber eine grausame Enttäuschung. Wenn uns die Lust anwandelt, so können wir da tanzen oder eine Volksversammlung abhalten. Raum genug ist da. Sehen Sie, das Schiff wendet sich schon, und der rote Bau da, der zwischen den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar wird ...“ „O weh! Ein Palazzo“, sagt die Baronin. An dem schon in Dämmerung liegenden östlichen Horizont steigen Fabrikschornsteine auf. ... Gleich danach erscheint ein Kellner, um die Bestellungen entgegenzunehmen. Der Baron drängt seine Frau, lieber mehr nach links zu rücken, um den Sonnenuntergang besser beobachten zu können. Die Baronin aber rührt sich nicht. „Was Sonnenuntergang! den seh' ich jeden Abend. Ich sitze hier sehr gut und freue mich schon auf die Lichter.“ Nicht nur das ganze Lokal erhellt sich, sondern auch auf dem drüben am andern Ufer sich hinziehenden Eisenbahndamme zeigen sich allmählich die verschiedenfarbigen Signale, während mitten auf der Spree, wo Schleppdampfer die Kähne ziehen , ein verblaktes Rot aus den Kajütenfenstern hervorglüht …

Die 1897 auf diese Weise literarisch verewigte Ausflugswirtschaft existiert heute noch. Um 1820 stand hier am Flussufer beim Plänterwald zunächst der Wachschuppen eines Holzlagers. Eier, die der örtliche Fährmann zum Verkauf anbot, oder auch jene Eier, mit denen später vor Ort Ruder-Wettkämpfer prämiert worden sind, sollen den Namen einer Schifferkneipe inspiriert haben, die sich ab 1837 aus dem Lagerschuppen entwickelt hat. 1869 und 1890 brannte das beliebte Ausflugslokal ab, wurde 1892 in seiner letzten Massiv-Version als Fachwerkbau ein weiteres Mal neu errichtet, danach mit Saal und Veranda erweitert. Natur, Bewirtung und Kinderjux-Optionen nahebei lockten bis 1960 die großstädtischen Restaurantgäste an. Nachdem 1969 der Kulturpark Plänterwald nebenan entstanden war, wurde Anfang der 1970er Jahre das Eierhäuschen als Ausflugslokal rekonstruiert und umgebaut. Teilweise diente es als Requisitenlager eines Fernsehsenders – und verfällt seit über zwanzig Jahren ungenutzt. Dem neuen Eigentümer des ehemaligen Kulturparks, dessen riesiges Vergnügungspark-Unternehmen 1999 Insolvenz anmelden musste, gehört verwickelterweise auch das große Eierhäuschen mit dem niedlichen Namen. Dessen Rettung durch eine Bürgerinitiative und die Stiftung Denkmalschutz scheitert bislang offenbar an der Verflechtung des Immobilienbesitzes mit dem fehlgeschlagenen Megaprojekt nebenan. Im Wald drumrum liegen Müll und Jahrmarktsfragmente. „Fuck you Ryan Air“ und „Resi ich liebe dich“ steht auf den Wänden. Eine Gedenktafel am Haus verkündet die Chronik der Lokalität, am Boden liegt das Regelwerk des hier einst florierenden Gondelbetriebes: „Angetrunkene Personen dürfen das Fahrgeschäft nicht benutzen. Das Rauchen, die Mitnahme von Tieren, Schirmen, Stöcken und anderen spitzen Gegenständen ist untersagt.“ Die Palazzo-Fenster sind zerdeppert. Aber eine Oster-Exkursion zu dem verwunschenen Schauplatz, dessen Zukunft in den Sternen steht, lohnt sich immer noch.

Die nächste Folge von Schauplatz Berlin erscheint am kommenden Sonntag im gedruckten Tagesspiegel.

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