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Schauplatz Berlin (Rätsel 2): Der Kurgast am Fluss

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Machen Sie mit bei Folge 2!

Als er in seinem zweiten Studienjahr an die Berliner Universität wechselt, verordnet der Arzt dem blutspuckenden Lungenpatienten seine erste Kur, der später viele weitere folgen werden. Den Jurastudenten soll das Dorfleben vor der Stadt kurieren. Manchmal verdrückt er sich zwar zu einem Schriftstellerzirkel ins ungesunde Zentrum der Kapitale, aber das Landleben bekommt ihm. Sein Hauswirt, der vom Gasthausbetrieb und vom Fischfang lebt, nimmt ihn mit zur Jagd und auf das große Volksfest der Region.

Im Sommer vor 175 Jahren genießt der Rekonvaleszent den Mondschein an der Bucht ebenso wie den Auslauf durchs Grüne, am schmutzigen Fluss. Im Biergarten trifft er sich dort mit Kommilitonen und Dozenten für heftige Diskussionen. Das bisherige Weltbild des bleichen Jünglings ist ins Wanken geraten.

Die ihm gewidmete Gedenktafel aus den 1960er Jahren erinnert an seinen Kuraufenthalt, kurioserweise aber auch an weniger entspannende Arbeitskämpfe, die Jahrzehnte später von diesem Vorortkaff aus organisiert wurden. Die Metallplatte ist auf einem kniehohen Pult befestigt; wer sie liest, schaut drüber hinweg zwischen Bänken und Rasenrechtecken auf die träge Wasserstraße. Links und rechts stehen Sandsteinreliefs, die feuchtfröhliche Dispute im Gartenlokal, einen Gelehrten mit dozierendem Zeigefinger, ein Rendezvous mit lokaler Weiblichkeit und unseren gereiften Helden, aus einer späteren Phase, im Profil zeigen. Das Areal befindet sich heute zwischen Neubauten, Büschen, Nadel- und Laubbäumen. Blaue Plastiktüten in Drahtkörben verbreiten die Aura neuzeitlicher Zweckmäßigkeit.

Damals, in seinem Biergartensommer, hatte das kerngesunde Ambiente für den wissensdurstigen Patienten schlagartig seinen Reiz eingebüßt: Eine Krankheit grassierte, vor der er und die Kurgäste stadteinwärts flüchteten. Der Frischverlobte schrieb bis zu jener Zeit Gedichte für seine Braut, schickte sogar lyrische Ergüsse als Talentprobe an seinen Vater im Westen Deutschlands. Damit ist es im Herbst vorbei. Nun bricht er mit der Poesie und bekennt sogar, all seine Verskreationen seien vor ihm wie in nichts zerfallen. Auch die Jurisprudenz wird der junge Mann schließlich vernachlässigen, um mit seinem Werk auf einem anderen Feld die Welt des folgenden Jahrhunderts zu verändern. Wer war’s? Finden Sie die Gedenktafel? Auflösung am Mittwoch in www.tagesspiegel.de/schauplatz

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