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Berlin: Schauspieler, Pantomime, Hilfssheriff

Lothar Kompatzki hat Weltgeschichte erlebt. Heute wird der Regisseur und Fernsehautor 80 Jahre alt

Die Hände tischlern und polieren, bauen ganze Filmsets in die Luft. Dann reckt sich die Brust hervor, mimt einen Moment lang den US-Sheriff Richardson, diesen Zweimetermann mit XXL-Stern und scharfzackigen Sporen, der ihn einst festnahm. Schließlich springt Lothar Kompatzki aus dem Sofa in die Berliner Nachkriegszeit und krümmt die Schultern nach vorn, um einen dieser ergrauten Postbeamten zu persiflieren. Die nahmen als Techniker im TV-Versuchssender „Berlin Posthaus“ Anfang 1953 sein wortfreies Rollenspiel „Kampf mit dem Koffer“ auf. Die positive Kritik der Senderchefs ermunterte ihn, nach Paris zu gehen, als Schüler des legendären Pantomimen Marcel Marceau.

Lothar Kompatzkis Leben ist ein Schatz an funkelnden Anekdoten, der noch weitgehend ungehoben ist. Eine Biografie zu schreiben, reizte den Schauspieler, Theaterregisseur, Fernsehautor und SFB-Programmbeauftragten bisher nicht. Lieber schaut er nach vorne, arbeitet weiter als Synchronregisseur für TV-Produktionsfirmen. Dass er heute 80 Jahre alt wird, wundert ihn selbst. „Eine faszinierende Zahl“, sagt er. Aber das Altern ist nicht sein Thema, eher das Immer-weiter-wie-bisher.

Kompatzki wurde in Ostpreußen, ganz im Norden bei Tilsit geboren. Den Krieg streifte er noch, als Marineinfanterist an der Front in Norddeutschland. In Apolda, Thüringen, trifft er seine Familie wieder, beginnt eine Maurerlehre und spielt nebenher Theater, weil er schon in der Schule „der Gedichtaufsager“ war. Er bewirbt sich beim „Deutschen Theaterinstitut Weimar“, wird angenommen als einer von 14 unter 700 Aspiranten. Kompatzki verfolgt aber keine hochtrabenden Karrierepläne, er macht, was gerade im Angebot ist. Der Circus Apollo aus Göttingen braucht dringend einen neuen Löwendompteur – Kompatzki meldet sich und erhält eine freundliche Absage.

Nach kleineren Engagements auf Provinzbühnen wird er „12. Assistent“ von Brecht am Berliner Ensemble, hilft mit, den „Kaukasischen Kreidekreis“ einzurichten. Seine Leitfigur ist jedoch Marcel Marceau. Nach einer Vorstellung im Titaniapalast spricht er den Künstler an und erhält die schriftliche Zusage, sich als sein Schüler betrachten zu dürfen.

„Mit 70 Mark in der Tasche bin ich dann nach Paris.“ Marceaus Schule ist kostenlos, auch die kleine Kammer mit Blick über die Dächer von Paris. Nach einem Jahr ist er zurück in Berlin, gründet ein eigenes Pantomimenensemble, organisiert Auftritte in Berliner Theatern, tourt durch die DDR, folgt dann aber dem überraschenden Angebot, Regieassistent im Hörfunk zu werden, für ein festes Monatshonorar. 1959 spricht ihn ein Fernsehkollege an, und die wilde Zeit der bewegten Bilder beginnt.

Kompatzki arbeitet an Dokumentationen über die Sektorengrenze und später den Mauerbau, dann beginnen die Auslandsreportagen mit Rudolf Radtke, Peter von Zahn, Matthias Walden und anderen bekannten Fernsehmachern. Als die Nachricht vom Kennedy-Mord um die Welt geht, ist er mit einem Team in den USA unterwegs. Sofort halten sie Autos an, fangen erste Reaktionen ein und werden bei einer Straßenkontrolle in Arizona von Sheriff Cecil Richardson festgenommen. Richardson prüft ihre Personalien und zeigt sich großzügig. Kompatzki und seine Kollegen werden zu Hilfssheriffs ernannt. So kommen sie durch alle Straßenkontrollen, und in Dallas, wo sie noch am gleichen Abend eintreffen, haben sie fast überall Zutritt. Sie filmen die Strecke, die Kennedys Konvoi nahm, den Raum, von dem aus Lee Harvey Oswald die tödlichen Schüsse abgefeuert haben soll. Im Polizeigewahrsam können sie den mutmaßlichen Attentäter live erleben. Zwei Tage später soll Oswald ins Staatsgefängnis gebracht werden. Kompatzkis Team wartet draußen, dann fällt ein Schuss, Oswald liegt tot am Boden.

Den Ausweis als „Honorary Deputy Sheriff“ von „Coconino County, Arizona“, übrigens unbefristet gültig, hat Kompatzki gerahmt, auch die Ablehnung als Löwendompteur. Die vielen anderen Geschichten, Namen, Orte und Filmtitel sind, gut sortiert, in seinem Kopf archiviert. Auf der Geburtstagsfeier werden einige dieser Memorabilien wieder die Runde machen. Thomas Loy

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