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Am Gründonnerstagnachmittag hatte im Rathaus Wilmersdorf das Verfahren einer Schiedskommission der SPD begonnen. Es ging um den Parteiausschluss Thilo Sarrazins.

© dapd

Schiedskommission: Sarrazin wird nicht aus SPD ausgeschlossen

Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin bleibt SPD-Mitglied. Darauf einigte sich die Schiedskommission des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf überraschend schnell, nachdem Sarrazin eine für ihn ungewöhnliche Erklärung abgegeben hatte.

Die von mehreren Parteigliederungen gestellten Anträge auf Parteiausschluss Sarrazins wurden am Donnerstag zurückgezogen, nachdem sich dieser verpflichtete, sich künftig an die Grundsätze der Partei zu halten.

Die Führung der Bundes-SPD hatte das Verfahren in Gang gebracht, weil der frühere Berliner Finanzsenator und Bundesbank-Vorstand mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" der SPD schweren Schaden zugefügt habe. Der Berliner Landes- und der Kreisverband schlossen sich dem Ausschlussverfahren an. Während in der Führungsriege der SPD die Befürworter dieser Linie dominierten, hagelte es Kritik von einfachen Mitgliedern. Viele von ihnen sehen in Sarrazin einen, der sich unangenehme Wahrheiten über Einwanderer auszusprechen traue und deshalb mundtot gemacht werden solle. Ein erster Versuch von Genossen, Sarrazin auszuschließen, war im vergangenen Jahr gescheitert. Damals hatte Sarrazin mit Sprüchen über "Kopftuchmädchen" und unproduktive arabische und türkische Einwanderer provoziert. Sein Buch erschien erst später. Inzwischen hat es sich weit mehr als eine Million Mal verkauft.

Die Öffentlichkeit war von dem Schiedsverfahren nicht nur formal ausgeschlossen, sondern in gewisser Weise auch durch die Wahl des Termins: Am Gründonnerstag um 15 Uhr traf sich im Rathaus Wilmersdorf – die meisten Behördenmitarbeiter waren längst in Richtung Osterfest entschwunden – die Schiedskommission des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, um über Sarrazins Ausschluss aus der Partei zu beraten.

Als Erste bahnte sich um kurz vor 15 Uhr Generalsekretärin Andrea Nahles den Weg durch die Journalistentraube zum Raum 1141. "Sitzungsraum Abteilung Personal, Verwaltung und Kultur", steht auf dem Türschild. „Wir werden heute ein faires Verfahren haben“, sagte Nahles in die Kameras. "Ich hoffe, dass unsere Argumente die Schiedskommission überzeugen werden." Aber die Kommission entscheide selbstverständlich unabhängig und allein. Inhaltlich mochte Nahles jedoch "keinerlei Auskünfte" geben.

Ähnlich, nur mit ganz anderen Worten, äußerte sich fünf Minuten später Thilo Sarrazin: Traurig sei es für die Journalisten, dass sie diesen sonnigen Nachmittag hier verbringen müssten. Nach seinen Erwartungen gefragt, erwiderte er: "Weiter gutes Wetter." Auch er sah aus, als könnte er sich Besseres vorstellen für diesen Nachmittag. In seinem Schlepptau ging schweigend sein Anwalt Klaus von Dohnanyi – ebenfalls langjähriges SPD-Mitglied und früherer Erster Bürgermeister von Hamburg – in den Raum. Dass Sarrazin einen derart angesehenen Rechtsbeistand gefunden hatte, machte die Situation für seine Widersacher in der Partei nicht besser.

Sichtlich angespannt kam auch Mark Rackles herein, Berliner SPD-Landesvize und ein Parteilinker. Von "guter Stimmung im Rahmen des Möglichen" sprach er und fügte hinzu, dass er bereits gerügt worden sei – offenbar für ein Radiointerview, das er kürzlich gegeben hatte. Denn die Verfahrensbeteiligten waren nach Auskunft eines Insiders zum Stillschweigen verpflichtet.

Ein Indiz dafür war auch die Auskunft eines jungen Anzugträgers, der sich als Oliver Strank vorstellte, einer von zwei Rechtsbeiständen des SPD-Ortsvereins Frankfurt-Mitte. Auch dieser Verein hatte Sarrazins Parteiausschluss beantragt. Warum? "Weil wir davon überzeugt sind, dass Herr Sarrazin … wir hoffen auf ein faires Verfahren." Dann war er weg und die Saaltür zu – für mehrere Stunden Beratung. Zurück blieben Journalisten mit fragenden Blicken sowie ein Mann mit einem Schild, auf dem "Danke Thilo" stand sowie die Internetadresse der rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit". Das Ausschlussverfahren sei ein absurdes Schauspiel; Sarrazin habe "Mut und Standhaftigkeit bewiesen" und Recht gehabt in allem, was er gesagt habe. Darüber müsse man doch reden dürfen, sagte der Mann.

Sarrazin gibt Erklärung ab

Gut drei Stunden werde die Anhörung wohl dauern, hatte ein SPDler vorab geschätzt. Tatsächlich zog sie sich dann aber schon fast dreieinhalb bis zu einer Pause, die sich die dreiköpfige Schiedskommission gönnte. Auch Sarrazin und seine beiden Anwälte verließen den Raum. Noch weit nach 19 Uhr saßen sie im runden Innenhof des Rathauses. Sie hatten drei Stühle und einen Tisch zusammenrückt und brüteten über Papieren, während allmählich die Sonne unterging. Dann ging es zurück durch die tristen Rathausflure ins Beratungszimmer.

Eine Entscheidung sollte der Abend eigentlich nicht mehr bringen: Die Schiedskommission hatte nach der Anhörung drei Wochen Zeit, eine schriftliche Stellungnahme für die Beteiligten zu formulieren. Doch dann plötzlich das Ergebnis, mit dem an diesem Donnerstag nicht mehr gerechnet worden war: Thilo Sarrazin wird nicht aus der SPD ausgeschlossen. Alle vier Antragsteller zogen ihre Anträge auf Ausschluss zurück, gab die Vorsitzende der Schiedskommission des Berliner Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, Sybille Uken, bekannt. Man habe sich nach fünfstündiger Beratung gütlich auf Basis einer Erklärung von Sarrazin geeinigt.

In dem drei Punkte umfassenden Papier betont der frühere Politiker, er habe "zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen". Er habe in seinem Buch nicht die Auffassung vertreten, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Alle Menschen seien gleich viel wert. Er habe auch keine "selektive Bevölkerungspolitik" verlangt, betont Sarrazin in dem Schreiben. Auf keinen Fall habe er die Vorstellungen vertreten, lediglich Frauen mit akademischen Berufen und einer bestimmten Nationalität oder Religion eine Prämie für die Geburt von Kindern zu gewähren.

Des Weiteren schreibt Sarrazin in der Erklärung wörtlich: "Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren." Er werde künftig bei öffentlichen Veranstaltungen darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder in Frage stellen zu lassen. Mit der Erklärung ging Sarrazin detailliert auf die einzelnen Vorwürfe der Antragsteller ein.

Es sei eine "konstruktive, respektvolle, ernsthafte und intensive Diskussion" mit allen Beteiligten geführt worden, betonte Uken. "Wir haben uns verständigt, uns als SPD nicht auseinanderdividieren zu lassen", sagte die Vorsitzende. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die den Ausschlussantrag begründet hatte, lehnte danach jegliche Stellungnahme ab. "Das spricht für sich selbst", war ihr einziger Satz. Auch Sarrazin verzichtete auf jeden Kommentar. (mit dapd/dpa)

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