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Berlin: Schluss mit dem Ladenschluss

Noch vor Weihnachten sollen die Geschäftsöffnungszeiten freigegeben werden, kündigt Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner an. Nach vier Jahren Rot-Rot zieht die PDS-Politikerin Bilanz: Vivantes-Erhaltung und den Schutz Arbeitsloser sieht sie als größte Erfolge

Die Föderalismusreform gibt den Ländern die Möglichkeit, die Ladenöffnungszeitenzu regeln. Wann ist in Berlin mit der angekündigten Verlängerung zu rechnen?

Wir haben bereits einen Gesetzentwurf vorliegen, der mit den Verbänden formalabgestimmt werden muss. Wir bekommen möglicherweise noch in dieser Legislaturperiodeeinen Senatsbeschluss hin und dann kann sich im Herbst das Abgeordnetenhaus damitbefassen.

Die Läden können also schon vor dem Weihnachtsgeschäft montags bis samstagsso lange öffnen wie sie wollen?

Ja, das könnte klappen.

Auf Ihrer Homepage sagen Sie, der Einzug in den Senat 2002 war die größteHerausforderung Ihres Lebens. Gab es Tage, an denen Sie meinten, Anspruch undWirklichkeit ließen sich nicht vereinbaren?

Ich hatte mir vorgestellt, dass alles einfacher und zügiger gehen könnte. Aber mit dem Ergebnis bin ich unterm Strich zufrieden. Ich habe für mich Anspruch und Wirklichkeit in der rot-roten Koalition vereinbaren können. Ich kann noch in den Spiegel schauen und sagen: Das, was ich bewegen kann, das habe ich bewegt.

Und das, obwohl Sie im Senat bei den Debatten mit Finanzsenator Thilo Sarrazinnicht immer siegreich waren?

Ja. Es gab mehr wichtige Fragen, bei denen ich mich durchgesetzt habe. Man steckt was weg, und dann hat man auch wieder die Chance, etwas durchzusetzen.

Was sind Ihre wichtigsten Errungenschaften in diesen Auseinandersetzungen?

Das Sozialticket für alle Bedürftigen und der Erhalt des Klinikkonzerns Vivantes. Bei Hartz IV ist es uns gelungen, dieses Monstrum von Gesetz im Land so umzusetzen, dass die Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht neben der Arbeit auch noch ihre Wohnung verlieren.

Glauben Sie, dass die soziale Abfederung sich dauerhaft halten lässt?

Davon gehe ich aus. Es sei denn, die Bundesregierung stellt das System wieder gänzlich um. Aber das wäre zu aufwändig.

Dafür, dass sie bei der Einführung der Hartz-Reformen so stark dagegen waren,scheint es ja glimpflich gegangen zu sein…

Nur, weil wir etwas getan haben. Wir haben die Richtwerte für die Mietkosten erhöht, anders als andere Kommunen.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass angesichts der ausufernden Kosten dieMehrzahl der Arbeitslosen weiterhin in ihren Wohnungen bleiben kann?

Wir treten jetzt in Verhandlungen ein, wie sich die Bundesregierung künftig an den Ausgaben beteiligt. Wir haben das Problem, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften erheblich gestiegen ist, was uns mehr Geld kostet als geplant. Es wird noch harte Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern geben.

Und was ist mit den 5000 Arbeitslosengeld-II-Empfängern, die aufgefordertwurden, ihre Mietkosten zu senken. Müssen die nicht um ihre Wohnungen fürchten?

Nein. Sie haben zwar alle Briefe bekommen, dass ihre Kosten formal zu hoch sind. Die Jobcenter haben die Aufgabe, bei jedem die Situation zu prüfen. Es gibt viele Schutzregelungen. Und vergessen Sie nicht die Relationen: Wir haben 330 000 Bedarfsgemeinschaften in der Stadt. Nur in 55 Fällen mussten die Betroffenen zu teure Wohnungen aufgeben.

Sie verbuchen auch die Erhaltung von Vivantes auf Ihrer Haben-Seite. Warum?

Als ich vor viereinhalb Jahren antrat, war völlig unklar, was aus diesem kommunalen Klinikunternehmen wird. Inzwischen erklärt selbst der Finanzsenator öffentlich, dass er eine Privatisierung zumindest bis 2010 nicht sieht. Es ist auch eine Leistung, alle neun Standorte des Konzerns – einschließlich Hellersdorf – erhalten zu haben, da bin ich stolz drauf.

Dennoch gibt es auch schlechte Nachrichten von Vivantes. Der Tote im KlinikumNeukölln, der erst nach Tagen gefunden wurde, ist ein Beispiel. Die schlechtenZustände in den Seniorenheimen des Unternehmens ein anderes. Muss hier nicht IhreVerwaltung noch mehr tun?

Es geht natürlich nicht, dass Vivantes mit schlechter Pflege in den Seniorenheimen in die Schlagzeilen kommt. Deshalb habe ich jetzt eine Qualitätsoffensive für alle Seniorenheime initiiert, gemeinsam mit dem Geschäftsführer von Vivantes und den Krankenkassen.

Was bedeutet das?

Wir werden in kürzester Zeit eine Bestandsaufnahme auf dem Tisch haben, aus der hervorgeht, was gemacht werden muss, um die Qualität der Pflege sicherzustellen. Der Bericht soll Ende August vorliegen. Und er wird alle zwölf Vivantes-Seniorenheime umfassen.

Aber hätte man da nicht schon früher reagieren müssen? Die Vorwürfe, dasszumindest in einem der Heime unhaltbare Zustände herrschen, sind von einer ehemaligenMitarbeiterin schon vor zwei Jahren öffentlich gemacht worden.

Ja, aber die Frage ist, wie transparent das war. Die damalige Geschäftsführung hat das Problem „gelöst“, indem sie die Altenpflegerin still und heimlich entließ. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hat das Heim überprüft, eine Mängelliste aufgesetzt, mit der Aufforderung, diese abzustellen. Da gab es für mich zunächst keinen Anlass, selbst einzugreifen. Dafür gibt es eine Unternehmensführung. Doch jetzt gab es einen neuen Bericht des MDK und der Heimaufsicht, wonach trotz Auflagen die gleichen Mängel weiterhin bestanden. Das hat mich alarmiert. Es war klar, dass ich jetzt politisch handeln musste. Und das habe ich umgehend getan.

Apropos Transparenz: Sie haben die Schirmherrschaft über den Klinikvergleichvon Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin übernommen, der im Mai erstmals erschienenist. Eine Frage an Sie als Vertreterin des Gesellschafters von Vivantes: Wirdder Konzern auch bei der Fortsetzung wieder dabei sein?

Davon gehe ich ganz sicher aus. Ich habe das Projekt unterstützt und bin sehr froh darüber, wie es gelaufen ist. Es geht ja nicht nur darum, die Spitzenreiter zu präsentieren, sondern allen die Möglichkeit zu geben, sich zu vergleichen und zu erkennen: Wo müssen wir besser werden?

Und Sie bleiben Schirmfrau?

Gerne.

Sie haben sich wiederholt für den Nichtraucherschutz stark gemacht und Initiativenangekündigt, um Menschen zum Beispiel in Gaststätten besser zu schützen. Was istda zu erwarten?

Mit der Föderalismusreform haben wir als Land die Möglichkeit, mehr zu tun. Die Bundesregierung hat mit dem Gaststättenverband eine Selbstverpflichtung abgeschlossen, bis 2008 Nichtraucher besser zu schützen. Ich werde jetzt ein Jahr lang beobachten, wie das umgesetzt wird. Wenn sich die Wirte nicht bewegen, dann werden wir mit einem Landesgesetz dafür sorgen, dass Nichtraucherschutz eine größere Bedeutung bekommt.

Die Bundesregierung hat kürzlich die Gesundheitsreform beschlossen. Welchessind die Folgen für Berlin?

Zuerst erhöhte Kosten für die Versicherten und die Arbeitgeber, also auch das Land Berlin, durch die Beitragserhöhung. Dann weniger Spielräume für Reformen. Und für die Krankenhäuser Mehrbelastungen in Millionenhöhe durch die pauschalen Einsparvorgaben und die Mehrwertsteuererhöhung. Für Krankenhäuser, die gerade eben so die schwarzen Zahlen schaffen, sind das enorme Belastungen.

Die Gesundheitsreform verschlechtert also die Situation für Kliniken undPatienten?

Ja. Die Bundesregierung hat ihre eigenen Vorgaben nicht eingehalten. Sie wollte die Beiträge vom Erwerbseinkommen abkoppeln – das ist ihr nicht gelungen. Und sie wollte keine Beitragserhöhungen – doch genau das machen sie jetzt.

Für den kommenden Wahlkampf will Ihre Partei stärker als bisher Wähler auchin West-Berlin ansprechen. In den Umfragen sind Sie dort aber unverändert schwach.Ist und bleibt die PDS eine Ostpartei?

Na, die Ostergebnisse der FDP erreichen wir im Westen auch. Aber wir haben ja nicht umsonst die Bundesdiskussion um den Zusammenschluss mit der WASG zu einer Partei, die auch im Westen stabil ist. Ich bin sicher, dass wir es hinbekommen, eine gemeinsame starke Linke zu bilden.

Welche Rolle spielt die Ost-West-Herkunft bei Senatoren, die die PDS ineine mögliche neue Regierung schicken will?

Heute kaum eine.

Über Kultursenator Flierl hört man, dass seine Ost-Biographie einer derGründe ist, dass man trotz Kritik aus Gründen des Ost-West-Proporzes an ihm festhält…

Das unterstellt man gern. Bei einer solchen Entscheidung geht es um seine Kompetenz als Wissenschafts- und Kultursenator. Es ist ja nicht so, dass wir keine personellen Alternativen mit Ostbiographie hätten. Aber darum geht es eben nicht, sondern um die erzielten Erfolge.

Interview: Ingo Bach und Lars von Törne

HEIDI KNAKE–WERNER (63) ist Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Im Herbst kandidiert sie für die Linkspartei/PDS erneut bei den Abgeordnetenhauswahlen.

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