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Berlin: Schnäppchen zum Abschleppen

Von Stefan Jacobs Sie arbeiten in der Verwaltung und werden intern „die Schrottis“ genannt. Zum Wohl der Landeskasse versteigern sie anderer Leute Autos.

Von Stefan Jacobs

Sie arbeiten in der Verwaltung und werden intern „die Schrottis“ genannt. Zum Wohl der Landeskasse versteigern sie anderer Leute Autos. Rund 1500 Stück im Jahr.

Steffen Krefft ist der Oberschrotti: Fachbereichsleiter des Amtes für regionalisierte Ordnungsausgaben. Diese Behörde ist auch für Tierfang sowie Schneeräumung zuständig. Am 1. August wird Krefft wieder zum Hammer greifen. Veranstaltungsort ist die Kantine des Bezirksamtes Lichtenberg in der Große-Leege-Straße. 303 Fahrzeuge sind dieses Mal zu haben, das Mindestgebot liegt meist bei 50 Euro. Im Angebot sind Klassiker wie ein 85er Saab, Gelegenheiten wie ein vier Jahre alter Fiat Punto, Familienkutschen wie ein Peugeot 405 Kombi, Bodenständiges wie ein Golf von 93, Hippietransporter wie ein Camping-Bully, Exoten wie ein Opel mit Rechtslenkung und Schlitten wie ein Peugeot 605 mit Sechszylindermaschine, von dem allerdings nur bekannt ist, dass er zuletzt mit litauischem Nummernschild unterwegs war. Auch ein „Camptourist“-Anhänger, der sich binnen zehn Minuten vom geräderten Würfel zum soliden Viermannzelt entfaltet und damit zu den herausragenden Leistungen der DDR zählt, ist zu haben.

Die Sache hat nur einen Haken: Schlüssel und Fahrzeugbrief fehlen meistens. Und beim Knacken hilft das Amt nicht. Seine Arbeit endet mit dem dritten Hammerschlag.

Begonnen hat sie Monate zuvor mit dem großen gelben Klebepunkt, der auf den – meist wegen nicht bezahlter Haftpflicht, Steuer oder abgelaufener TÜV-Plakette stillgelegten – Autos angebracht wird. Gut die Hälfte der Besitzer kümmert sich daraufhin um ihren Liebling und bewahrt ihn so vor dem nächsten Akt, dem Abschleppwagen, der das Auto – je nach Zustand – zum Schrottplatz oder auf einen geheimen Parkplatz fährt. In diesem Stadium ist das fällige Bußgeld schon auf über Hundert Euro gestiegen. Auch knacken die Schrottis den Wagen und schauen nach, ob Schätze oder Leichen im Kofferraum liegen. Dann wird er versiegelt. „Wenn wir sie offen ließen, würden sich die Fahrzeuge stückweise auflösen“, sagt Krefft. Also dürfen die Autos nur von außen, unter Aufsicht und nur an den beiden Tagen vor der Versteigerung besichtigt werden. „Gekauft wie gesehen“, heißt die Parole. Das ist riskant für die Interessenten, aber die Schrottis sind fair und verraten ungefragt, wenn beispielsweise der Motor fehlt.

Die Versteigerungen sind erfahrungsgemäß reine Männerveranstaltungen und erfreuen sich vor allem bei osteuropäischen Gebrauchtwagenhändlern großer Beliebtheit. Aber auch Privatleute können teilnehmen; sie müssen nur Personalausweis und genug Bargeld mitbringen. Dafür bekommen sie eine Bescheinigung, mit der die Zulassungsstelle dem Auto ein neues Leben erlaubt.

Natürlich gibt das Amt den Vorbesitzern mehrere Chancen, indem es sie schriftlich über den Gang der Dinge informiert. Wer Steuern und Bußgelder rechtzeitig nachzahlt, bekommt sein Auto wieder. Alle anderen können sich den Erlös noch drei Jahre später auszahlen lassen – abzüglich der ausstehenden Gebühren. Das lohnt nicht bei allen Autos. Aber bei solchen wie dem Mercedes SL, den Steffen Krefft vor einiger Zeit für 49 800 Mark versteigert hat.

Beim Ermitteln der Vorbesitzer arbeiten die Schrottis mit der Polizeischule Ruhleben zusammen. Die jungen Kriminalisten freuen sich über Herausforderungen wie fehlende Nummernschilder und herausgefeilte Fahrgestellnummern. „Wir kriegen fast jeden“, sagen sie. Die Quote liegt bei 98 Prozent.

Informationen und Fahrzeugliste: www.berlin.de/ba-lichtenberg/Verwal tung/RegOrd/fahrzeug.html

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