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Berlin: Schnaps ist Dienst

Ein Rundgang über die Grüne Woche – mit Kyritzer Knatterkrapfen, Straußeneierlikör und trinkfester Prominenz

Grundregel der Grünen Woche: Zur Eröffnung werden die Prominenten gnadenlos vorgeführt. „Ich bin ein Politiker – holt mich hier raus“ ist das inoffizielle Motto des ersten Freitags, und Renate Künast kann davon ein Trinklied singen. Denn gerade in den Ländern der EU-Osterweiterung schätzt man einen guten Schluck, egal, ob vor oder nach dem Frühstück. Gestern wurde das erste Bierfass kurz vor acht angezapft - die faktische Eröffnung. Die Ministerin kam ein paar Minuten später, lehnte den Schnaps bei den Polen noch ab, nippte dann unter anderem bei den Österreichern am Wein, probierte slowakisches, dann slowenisches, dann tschechisches Bier, schließlich ukrainischen Wodka sowie als abschließende Prüfung russischen Wodka mit rohem Ei. Da war es knapp halb elf, und schwankend erreichte die Ministerin den festeren Boden der deutschen Bio-Halle, wo zwei Jongleure sie mit einem gut durchgeschüttelten Fruchtcocktail stabilisieren konnten.

Die Grüne Woche wandelt sich ständig. Aus dem einstigen Schaufenster der kulinarisch freien Welt ist eine Bundesländermesse mit Osteuropa-Anhang geworden. Wie stark diese Veränderung ist, zeigt sich am Beispiel Amerika. Das Land präsentiert sich an einem einzigen, mit US–Flaggen geschmückten Stand, und zwar durch jenen deutschen Weingroßabfüller, dessen Verkäuferkolonnen auf dieser Messe bereits nahezu die Hälfte der Welt in ihre Gewalt gebracht haben. „Na, gnä’ Frau, wie wär’s denn mit einem Schlückchen?“, ist seit Jahren die Grüne-Woche-Anmache Nummer eins, und obwohl die Verantwortlichen immer wieder beteuern, es werde besser, wird es immer schlimmer.

Die Prominenten bleiben von derlei Auswüchsen verschont. Doch sie müssen ihrerseits um Beachtung kämpfen. Kaum hat Renate Künast die Bio-Bühne erklommen und von weitem die Abordnung von Herta Däubler-Gmelin begrüßt, da beißt Kommissar Fischler, der Allerhöchste, eine Halle weiter herzhaft in ein Stück Sülze. Wenig später betritt Klaus Wowereit mit seinen Leuten die Halle der Rinderzüchter, wo gerade zwei Ochsen von der Größe einer Fertiggarage am Nasenring herumgezogen werden. Wowereit stoppt interessiert auf der Brücke und erfährt so beispielsweise, dass das äußerst milchbetonte Pinzgauer Rind seine Sonnenbrille praktisch gleich eingebaut hat und deshalb im deutschen Osten gern genommen wird. „Könner melken mit Verstand“ behauptet die Bandenwerbung, und da wird der Regierende gewiss ein wenig an seinen Finanzsenator gedacht haben.

Wenn es denn ein Messesymbol zu wählen gäbe, so wäre das möglicherweise der „Kyritzer Knatterkrapfen“, der alle aktuellen Motive verbindet. Er ist aus Brandenburg, verbindet Selbstironie und Bodenständigkeit mit einem Hauch selbstgemachten Marketings, und jeder kann ihn sich leisten. Als passendes Getränk drängt sich der ebenfalls aus Brandenburg stammende Straußeneierlikör an, der wie ein trotziger Beweis regionaler Selbstbehauptung wirkt: Wenn die Australier uns das Zeug nicht herschicken, machen wir es eben selbst! Immerhin gibt es auch Känguruh-Rauchenden, eine besonders hübsche Frucht der Globalisierung, der vermutlich spätetens 2005 der Krokodil-Döner folgen wird. Andere, nähere Länder sehen da ein wenig blass aus und suchen Halt in folkloristischen Exzessen wie am Dreiländereck Italien/Slowakei/Schweiz, wo mehrere Akkordeonspieler in eine Art Tonduell verwickelt sind.

Herzstück jeder Grünen Woche aber ist und bleibt die Blumenhalle. Früher, als es Fuerteventura noch nicht gab, schenkte sie den Berlinern einen ersten Hauch des Frühlings, und es genügte, wenn dort nur nach Kräften geblüht wurde. Heute geht nichts ohne Thema, und deshalb ist die Halle diesmal den Griechen gewidmet und aus naheliegendem Anlass als olympisches Stadion gestaltet. Wo einst die Zuschauer saßen, blühen nun unter Pinien bunte Gerbera, im Rosengesträuch ragen profane Sprinthürden auf, und ab und zu geht das Licht aus. Das ist nötig, damit das Olympische Feuer, dargestellt durch einen orangeroten Luftsack, richtig zur Geltung kommt.

Dann schlägt auch für Klaus Wowereit die Stunde der Wahrheit. Er läuft Gojko Mitic in die Arme, dem weltweit vermutlich dienstältesten Indianerhäuptling, der ihn umgehend für die Karl-May-Festspiele keilt und zum Schwur schadenfroh eine Friedenspfeife mit unbekanntem Inhalt in Brand setzen lässt. Wowereit, das wird immerhin deutlich, inhaliert nicht, auch nicht für den Frieden. Das Karl-May-Stück heißt übrigens „Unter Geiern“. Kam Wowereit sehr bekannt vor.

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