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Berlin: Schneechaos: Haben die Berliner ein Gespür für Schnee?

Wolfgang Kaschuba (50) ist Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität. Mit ihm sprach Guido Egli.

Wolfgang Kaschuba (50) ist Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität. Mit ihm sprach Guido Egli.

Fünfzehn Zentimeter Schnee und der Berliner kriegt Panik. Was sagt ein süddeutscher Ethnologe dazu?

Berliner sind Großstädter, keine Flachlandtiroler. Sie wissen, dass die Rhythmen und Systeme einer Großstadt leicht durcheinander kommen können. Für die Maschinerie der Großstadt ist Schnee Sand im Getriebe. Das Interessante ist nun, dass die Menschen hier mit vorauseilender Vorsicht von einer Ausnahmesituation ausgehen, bevor diese überhaupt eintritt.

Ist das naiv oder rational?

Beides. Neunzig Prozent der Berliner fahren mit Sommerreifen durch den Winter. Insofern ist die Gefahr real. Viele Reaktionen sind aber auch Ausdruck kindlich-naiver Freude. Kaum liegt Schnee, sieht man Menschen mit Langlaufskiern durch den Tiergarten fahren. Das ist eine symbolische Aktion, eine schöne Spielerei. Andere rodeln winzige Anhöhen herunter, die man in Bayern als völlig eben empfinden würde. Viele Berliner gehen raus, um im unberührten Schnee zu spazieren. In München bleibt man zuhause, weil man draußen nass wird.

Der Schnee als temporärer Einbruch der Natur in die Zivilisation?

So kann man das sehen. Im öffentlichen Raum dominiert plötzlich das Nicht-Technische. Kleine Risiken wie Glatteis tauchen auf. Ich habe den Eindruck, dass Großstädter das durchaus mit Selbstironie erleben. Sie sehen sich in der Schneewüste des Alexanderplatzes. Das ist eine Ausnahmesituation. Wenn sich diese weiche, leise Decke über die Stadt zieht, so ist das etwas Verbindendes. Das sorgt an jeder U-Bahn für Gesprächsstoff. Man weiß, dass es allen so geht. Man schaut sich an, als hätte man sich gerade auf der Skihütte getroffen, nach dem Wintersport. Der Stadtraum, der sonst viel unkonturierter ist, wird in Innen und Aussen unterteilt. Es gibt dann sozusagen die Natur draußen und das Innere, die Hütte: die U-Bahn, die Kneipe, das Einkaufszentrum.

Was sagt des Berliners seltsames Gespür für Schnee über seine Seele aus?

Der Schnee bringt die romantische Seite dieser Seele hervor. Da ist mal nicht das Typische "Wissenwa nich, hamwa nich". Da ist mal ein anderes Thema als Ost und West. Schnee ist Balsam für die Berliner Seele.

Wolfgang Kaschuba (50) ist Direktor des Instituts

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