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Berlin: Schnittpunkt Stasiknast

Paul Oestreichers Beziehungen retteten Barbara Einhorn in den 80er Jahren vor der Haft: So lernten sie sich kennen

Der Weg, den Barbara Einhorn (60) und Paul Oestreicher (71) zueinander machten war weit und lang. Jetzt endlich haben die Germanistin und der anglikanische Pfarrer geheiratet. Etliche Länder, je eine eigene Familie, viele Projekte, politisches Engagement und Verhaftungen lagen auf dem Weg dahin. Dabei hätte alles ganz einfach sein können. Denn ihr Leben lief auf erstaunliche Art und Weise parallel.

Es begann in Deutschland. Genauer in Berlin. 1939 mussten zahlreiche Familien vor dem Terror des Nationalsozialismus fliehen. Zu ihnen gehörten auch die Familien Einhorn und Oestreicher. Paul Oestreicher war damals sieben Jahre alt. Schon lange wurde in beiden Familien der jüdische Glaube der Vorfahren nicht mehr praktiziert. „Ich war mir der Gefahr nicht bewusst. Für mich war das Leben ein großes Abenteuer“, sagt er. Dann wurde er Zeuge der November-Pogromnacht. „Zum ersten Mal hatte ich richtige Angst“, sagt Paul Oestreicher. Wenig später verließ er mit seiner Familie Berlin. Ungefähr zur selben Zeit packten Barbara Einhorns frisch verheiratete Eltern. Auch ihr Ziel: Neuseeland. Drei Jahre später wurde Barbara Einhorn im Norden des Landes geboren. Paul Oestreicher lebte im Süden. Es waren nur ein paar Tausend Flüchtlinge, die in Neuseeland Asyl fanden. „Man wusste, da gibt es diese deutschstämmige Familie, aber kennen gelernt haben wir einander nicht“, sagt Paul Oestreicher. Beide studieren. Er wird Politologe; sie Germanistin.

In den nächsten Jahren machten Paul Oestreicher und Barbara Einhorn neue Deutschlanderfahrungen. Er studierte für eine Weile in Bonn bei dem von ihm verehrten Helmuth Gollwitzer. Sie forschte in Berlin über DDR-Literatur und das Bild der Frau im Sozialismus. Die Begegnung mit dem Deutschland der 50er und 60er Jahre war für beide einschneidend. Für Paul Oestreicher war es eine voller Erinnerungen. Gleichzeitig hatte er den Eindruck, dass sich hier niemand erinnern wollte. Barbara hingegen war unbefangener. Bis sie zufällig ein Gespräch zwischen Freundinnen hörte: „Barbara ist eigentlich ganz nett“, sagt eine zur anderen, „und das, obwohl sie Jüdin ist.“

Nach einigen Umwegen landen beide in England. Immer noch waren sie sich nicht begegnet. Das Parallelleben ging jedoch weiter. Der engagierte Politologe war inzwischen anglikanischer Pfarrer in London geworden. Er arbeitete auch als Journalist für den BBC und wurde „Außenminister“ des britischen Kirchenrates mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Später war er 16 Jahre lang Direktor des Internationalen Versöhnungszentrums in Coventry. Jahrelang stand er Amnesty International in England vor. Oestreicher war viel unterwegs. Er bewegte sich in kirchendiplomatischen Kreisen vor und hinter dem Eisernen Vorhang, und er gehörte zu den Aktivisten der britischen Friedensbewegung. Dort hätte er auf Barbara treffen können. Die Germanistin und Feministin engagierte sich ebenfalls in der Friedensbewegung und hatte Kontakte geknüpft zu den „Frauen für den Frieden“ in der DDR.

1983, zehn Tage nach dem Nato-Doppelbeschluss, besuchte Barbara Einhorn die DDR, um mit der Frauengruppe eine Buchveröffentlichung in England vorzubereiten. Bei der Ausreise wurde sie verhaftet. Gemeinsam landete sie in Hohenschönhausen im berüchtigten Stasiknast. Zu Hause in England wusste niemand, wo sie geblieben war. Barbara Einhorn galt fünf Tage lang als vermisst. Jetzt wurden Freunde aktiv. Sie wandten sich an den Mann mit den guten Beziehungen jenseits des Eisernen Vorhangs: Paul Oestreicher. Er brachte schnell in Erfahrung, dass man Barbara Einhorn in Ost-Berlin festhielt, und er sorgte dafür, dass der damit verbundene politische Skandal öffentlich wurde. Die Germanistin wurde des Landes verwiesen und war wieder frei.

Kurz darauf trafen sich Barbara Einhorn und Paul Oestreicher endlich zum ersten Mal. „Wir sahen uns“, sagt er, „und waren Freunde.“ Viele Stunden verbrachten sie in den folgenden Jahren damit, all die Parallelen und Gemeinsamkeiten ihres Lebens zu beleuchten. Dabei blieb es zunächst. Als Barbara Einhorn sich Mitte der 90er Jahre scheiden ließ und Pauls Frau schwer krank wurde und schließlich starb, kamen sich beide als Mann und Frau näher. „Unser Kennenlernen“, sagt sie, „ist eine romantische Liebesgeschichte.“ Vorläufiger Höhepunkt: Verlobung in Neuseeland, Hochzeit in Berlin, jüdisch-christliche Feier in England.

Bis Ende des Jahres lebt das Paar noch in Berlin. Dann ist das Forschungsprojekt der Germanistin hier beendet. „Wir ziehen zurück nach Brighton.“ Er arbeitet an seinem Buchprojekten weiter, sie an der Universität Sussex. Paul Oestreicher schreibt über die, wie er sagt „bedeutsamsten Minderheiten der DDR - die überzeugten Kommunisten und die Christen“. Barbara Einhorns Thema ist das Geschlechterverhältnis in Mittel- und Osteuropa,und wie es sich seit der Wende verändert hat. Die Parallelen in ihrem Leben dauern an.

Ursula Engel

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