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Berlin: Schön war die Zeit

Von Henning Kraudzun Mainstream, Kommerzialisierung, Verrat an der Szene –wenn diese Schlagworte fallen, steht die Love Parade an. Einer, der sich bei dem Rummel zurücklehnt, ist Wolle Neugebauer.

Von Henning Kraudzun

Mainstream, Kommerzialisierung, Verrat an der Szene –wenn diese Schlagworte fallen, steht die Love Parade an. Einer, der sich bei dem Rummel zurücklehnt, ist Wolle Neugebauer. Ein Ost-Berliner Techno- Urgestein. Zuerst erteilte er der weltgrößten Technoparty auf der Straße des 17. Juni eine Absage, mittlerweile hat er auch mit der Fuckparade abgeschlossen. Jahrelang engagierte sich der 34-Jährige für diesen nicht-kommerziellen Gegenentwurf zur Love Parade, zusammen mit anderen DJ-Größen. Drei Monate kämpfte er im vergangenen Jahr für den Wagenkorso, musste mit dem Verbot als politische Demonstration jedoch eine Niederlage einstecken. „Dem Idealismus sind die Beine weggehauen worden“, sagt Wolle.

Über die verpassten Chancen, einer Jugendbewegung mehr Inhalte einzuimpfen, sei er zwar frustriert, dennoch habe er ausreichend Abstand zur „Techno-Kirmes“ am kommenden Wochenende gewonnen. Ihm bleiben Erinnerungen, die ihn für künftige Projekte ermutigen. Erinnerungen an die ersten Paraden auf dem Kurfürstendamm, als DJs die Öffentlichkeit aufschreckten und ihre Bässe die Kaffeetassen im Kranzler tanzen ließen. Als jeder noch aus Spaß mitfahren konnte und sich keine Werbeagentur für ein paar verrückte Technojünger interessierte. Doch seine Erinnerungen reichen weiter zurück. Sie sind in seinem DJ-n wie ein Gütesiegel eingebrannt. Wolle XDP: Drei Buchstaben stehen für das „Extasy Dance Project“, die wohl schrägste Partyreihe in der gewendeten DDR.

Kurz vor dem Fall der Mauer hatte er im Sport- und Erholungszentrum (SEZ) die ersten Acid-House-Veranstaltungen in Ost-Berlin organisiert. Und wie jeder Kulturschaffende, musste er Monate zuvor ein Konzept bei den Funktionären einreichen. Seines war mit philosophischen Gedanken durchsetzt, die heute wie die Anleitung zu einem fernöstlichen Mentaltraining klingen: „Die Ekstase ertanzen...ein positives Bewusstsein entwickeln...Aggressionen abbauen.“ Das eigenwillige Konzept wurde anstandslos genehmigt.

„Diese Partys waren wie eine fremde Welt für die Szene aus dem Osten“, erinnert sich Wolle, der als Organisator im SEZ fest angestellt war. Die Tanzfläche verwandelte er in eine dunkle Höhle, in der improvisierte Lichteffekte über den Boden huschten. Der Bass wummerte aus allen Ecken. Es wurde zum Selbstversuch für die entwöhnte Jugend: „Die Leute waren zuerst komplett verwirrt, um später ekstatisch herumzutanzen.“ Aufgelegt wurde damals noch mit Kassetten. Bis die ersten DJs aus dem Westen kamen, mit ihren Platten im Gepäck.

Nach den ersten Erfolgen machte Wolle weiter. Auf die „Extasy“–Reihe folgten die legendären „Tekknozid"- Partys im Haus der Jungen Talente. Alles, was an elektronischer Musik um 1990 entstanden war, kam auf den Plattenteller und formte in ihrer Gesamtheit einen neuen Begriff: Techno. Das war die Geburtsstunde des Techno im Osten. Spätere Stars wie Marusha und Mike van Dijk wurden Stammgäste im Podewil’schen Palais und mit dieser Musik infiziert.

Bald platzten die Partys aus allen Nähten. „Die Massenwirksamkeit wurde absehbar“, sagt Wolle. Als die Musik zum Mainstream wurde, suchte er im Osten der Stadt andere, authentische Orte. Er stieß auf den Bunker in der Albrechtstraße, in dem zuvor Südfrüchte für die Parteiführung lagerten, und baute ihn zum Technoclub aus, der zur Legende im Nachtleben werden sollte.

Mit diesen Erfahrungen begann Wolle sich überall in Berlin seine Nischen einzurichten: als Booker im Tresor, als Betreiber des Discount-Clubs und der Pfefferbank. Daneben leistete er musikalische Aufbauarbeit, und wurde auch außerhalb Berlins zur festen Technogröße. Vielleicht deshalb, weil er wie kaum ein anderer die Entwicklung des Technos in Berlin mitgeprägt hat, ist er von der Kommerzialisierung frustriert. Den großen Paraden, auf denen Jahresumsätze mittelständischer Unternehmen erwirtschaftet werden, will er auch künftig fern bleiben.

Er warte auf den Augenblick, wenn wieder ein kultureller Background hinter den schnellen Beats wichtig wird. Sinnbildlich ist das ein Warten auf Godot.

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