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Rainer Strauch.

© Mike Wolff

Schöne Bescherung in Berlin: Was Miet-Weihnachtsmänner am Heiligabend erleben

Ob es den Weihnachtsmann gibt? Natürlich. Viele! Auch Engel und Christkinder kann man in Berlin zum Fest buchen. Schauspieler, Studenten und buddhistische Mönche erzählen, warum sie den Job machen – und was sie dabei alles erleben.

Name: Rainer Strauch („Shanti“)
Alter: 76
Beruf: Rentner und Student, früher Elektroingenieur

Bevor ich als Weihnachtsmann eine Familie besuche, telefoniere ich erst einmal mit den Eltern. Die erzählen mir dann etwas über ihre Kinder. Das schreibe ich in mein goldenes Buch. Allerdings halte ich mich während der Bescherung nicht immer an das, was darin steht. Wenn ich das Gefühl habe, dass es besser für das Kind ist, sage ich auch mal das genaue Gegenteil von dem, was die Eltern hören wollen. Das kommt bei denen meistens nicht gut an, aber ich fühle mich besser dabei.

Ein Beispiel? Nun, einmal war ich bei einer Familie mit drei Kindern, zwei Jungs und ein Mädchen. Alle drei haben in der gleichen Mannschaft Fußball gespielt. Die kleine Schwester stand im Tor, die Jungs waren im Sturm. Nun wollte das Mädchen aus dem Tor heraus aufs Feld. Die Eltern verlangten von mir, dem Mädchen ins Gewissen zu reden, dass sie im Tor bleiben soll. Die Begründung: Sie habe keine Spieltechnik, weil sie immer nur im Tor gestanden habe, und wenn sie nun aufs Feld ginge, würde das ganze Team absacken.

Als ich mit der Familie um den Baum saß, merkte ich, dass die kleine Schwester völlig verschüchtert war. Ich habe also genau das Gegenteil gesagt: „Ich habe gehört, dass du dir zu Weihnachten wünschst, aus dem Tor herauszukommen. Das finde ich toll. Man sollte alle Positionen mal ausprobiert haben.“ Die Brüder forderte ich auf, ihre Schwester dabei zu unterstützen. Vielleicht könne einer von ihnen ins Tor gehen. Das Mädchen war völlig perplex und froh, dass jemand sich für sie einsetzte. Das sind die Sternstunden, wenn ich in so einem Moment die richtigen Worte finde.

Als Weihnachtsmann nennen mich alle Shanti. Den Namen habe ich in einem Buddhistischen Kloster in Sri Lanka bekommen. Dort war ich einige Jahre Mönch und bin danach noch ein Dreivierteljahr als Mönch durch Europa gereist. In dieser Zeit habe ich ohne Geld gelebt und war auf die Fürsorge meiner Mitmenschen angewiesen. Ein buddhistischer Mönch darf nur Nahrung, Kleidung und Wohnraum annehmen, kein Geld. Auch darf man nicht nach Essen fragen, die Menschen müssen es von sich aus anbieten. Das funktioniert wunderbar, ich habe keinen Tag gehungert. Die Zeit war eine tolle Übung. Ich habe gelernt, bei mir zu sein, das gibt Sicherheit und Stabilität. Diese Sicherheit möchte ich auch als Weihnachtsmann ausstrahlen.

"Dann puste ich etwas Goldstaub durch die Gegend"

Julia Marlen Mahlke.
Julia Marlen Mahlke.

© Mike Wolff

Name: Julia Marlen Mahlke

Alter: 42
Beruf: Schauspielerin und Bademeisterin

Ich bin Schauspielerin, habe einige Jahre in Dortmund am Stadttheater gespielt, nun mache ich gelegentlich kleine Projekte, die aber meistens wenig Geld einbringen. Daher arbeite ich im Sommer als Bademeisterin beim Badeschiff und organisiere Standup-Paddling-Touren. Im Winter schlüpfe ich nun schon seit Jahren in meine Rolle als Engel Julia.

Am Heiligen Abend besuche ich zehn bis 13 Familien. Etwa 20 Minuten plane ich pro Familie ein. Da muss schon vorher einiges abgesprochen werden. Die Eltern sagen mir zum Beispiel, welcher Nachbar mich ins Haus lässt und wo genau im Treppenhaus die Geschenke deponiert sind. Vor der Wohnungstür stelle ich dann erst einmal den Sack mit den Geschenken ab und klopfe an. Wenn die Tür aufgeht, sage ich: „Denkt euch, ich habe den Weihnachtsmann gesehen…“. Danach puste ich etwas Goldstaub durch die Gegend und frage die Kinder, ob sie mir helfen, den schweren Sack hereinzuholen. So fühlen sie sich direkt eingebunden.

Am besten ist es, sich vorher ein paar Sprüche zu überlegen und die Situation im Kopf durchzuspielen. Dann ist man nicht so aufgeregt – und aufgeregt war ich gerade am Anfang sehr. Zwar ist bei solchen Auftritten die Bühne nicht groß, aber umso wichtiger ist es, dass die Illusion nicht zerbricht. Inzwischen bin ich aber seit Jahren als Engel unterwegs, zu vielen Familien gehe ich immer wieder und gehöre an Weihnachten dazu. Da bin ich dann auch entspannter.

Mittlerweile bin ich sogar schon so weit, dass ich meine Erfahrungen an andere weitergebe: Beim Studentenwerk, der größten Weihnachtsmann-Vermittlung in Berlin, leite ich Workshops für die neuen Weihnachtsmänner und Engel. In einer meiner Übungen sollen sich die Studierenden zum Beispiel einen Künstlernamen ausdenken und sich die ganze Zeit nur damit ansprechen lassen. So lernen sie, sich in ihre neue Identität einzufinden. Wir üben auch zu improvisieren. Zum Beispiel, was man machen kann, wenn ein Kind sagt: „Deine Flügel sind aber aus Pappe!“ Ganz locker antworten, dass Engel nur im Dunkeln fliegen können, wenn keiner zusieht.

"Erstmal wird der Fernseher ausgemacht"

Robin Rabe.
Robin Rabe.

© Mike Wolff

Name: Robin Rabe

Alter: 25
Beruf: Studiert an der TU Berlin Technische Informatik

Als Kind war Weihnachten für mich das zentrale Fest. Doch zwischen Kind und Elternsein kommt eine Phase, in der Weihnachten an Wert verliert. Wie vielen anderen ging mir mit Anfang 20 die Lust am Fest verloren. Nach der Bescherung fuhr ich direkt in den Club. Heiligabend, ein Tag wie jeder andere. Wieso also nicht an Weihnachten arbeiten? So wurde ich Weihnachtsmann.

Mein schönstes Erlebnis hatte ich in einer Familie in der Windscheidstraße in Charlottenburg. Dort erwarteten mich acht Kinder. Die Familie war unglaublich herzlich. Die Kinder haben mich umarmt, wollten alle auf meinem Schoß sitzen, ein Foto mit mir machen, und sie hatten sogar ein Bild für mich gemalt.

Es gibt aber auch chaotische Familien. Da läuft nebenbei der Fernseher, die erste Weinflasche ist schon geöffnet, und die Kinder schreien, wenn ich hereinkomme. In solchen Situationen muss ich mir als Weihnachtsmann Raum schaffen und darum bitten, dass der Fernseher ausgemacht wird. Ich bin ein zentrales Element an dem Abend und will für die Kinder da sein. Nur die Geschenke abzuliefern, reicht da nicht aus. Ich bereite mich vor, lerne die Namen der Kinder und habe ein paar Stichworte im Kopf. So kann ich den Kindern Fragen stellen, sie einbinden und sie ermutigen, mit mir zu sprechen.

Manche Eltern verstehen nicht, dass das die Aufgabe des Weihnachtsmannes ist: für die Kinder da zu sein. Ich erziehe die Kinder nicht. Wenn ich vor Weihnachten mit den Eltern telefoniere und sie mir dann sagen, mein Kind soll das und das, sage ich direkt, dass das nicht ins goldene Buch kommen wird. Ein Kind darf aufgedreht sein, darf Kind sein. Der Weihnachtsmann ist der letzte, der dagegen etwas sagt.

Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich neben dem Studium als Entwickler bei einer Unternehmensberatung. Deshalb bleibt mir im Moment nicht mehr genug Zeit für die Arbeit als Weihnachtsmann. Hinzu kommt, dass ich das Weihnachtsfest auch persönlich wieder mehr schätzen gelernt habe. Es ist eine Zeit, in der man sich zurückbesinnen kann, es ist Zeit für dich. Der Alltag, Arbeit und Studium spielen für ein paar Tage keine Rolle, man lässt das Jahr Revue passieren. Ich möchte wieder mehr von dieser Zeit mit meiner Familie verbringen.

"In Berlin herrscht Weihnachtsmann-Knappheit"

Peter Laleike.
Peter Laleike.

© Mike Wolff

Name: Peter Laleike

Alter: 62
Beruf: Reinigt für die BVG U-Bahn-Teile

Ich bin noch neu im Weihnachtsmann-Geschäft. Entdeckt wurde ich im letzten Herbst am S-Bahnhof Bornholmer Straße. Dort sprach mich eine junge Frau an und fragte, ob ich nicht Weihnachtsmann werden wolle. Sie hatte eine sehr nette Art. In dem Moment war mir eigentlich überhaupt nicht nach fröhlicher Stimmung, Herzenswärme und Freundlichkeit, weil ich Stress auf der Arbeit hatte. Schlussendlich überredete sie mich aber doch.

Nachdem wir einen Auftritt gemeinsam gemacht haben, sie als Engel, ich als Weihnachtsmann, schmiss sie mich ins kalte Wasser. Letztes Jahr war ich an Heiligabend direkt bei zwei Familien, allein. Das hat dann auch gereicht.

In diesem Jahr setze ich wieder darauf, eher zu wenigen Familien zu gehen. So kann ich entscheiden, wie lange ich in einer Familie bleiben möchte, und muss mich nicht hetzen. Ursprünglich wollte ich sogar nur zu einer Familie gehen. Aber da in Berlin Weihnachtsmann-Knappheit herrscht, werden wohl doch noch einige andere hinzukommen. Besonders gefragt sind nun einmal Weihnachtsmänner mit echtem Bart. Dafür zahlen manche Eltern sogar gerne etwas mehr Geld.

Grundsätzlich muss ich sagen: Es ist schon etwas besonderes, als Abgesandter vom Himmel in Familien zu kommen. Ich wurde bisher immer gut empfangen. Einige Kinder sind sehr zutraulich: Ich erinnere mich daran, wie letztes Jahr ein Mädchen meine Knie umfasst hat und sie gar nicht mehr loslassen wollte. Andere sind schüchterner.

Ich selbst bin atheistisch aufgewachsen. An Weihnachten gab es gutes Essen und Geschenke, mehr aber auch nicht. Durch meine Arbeit als Weihnachtsmann habe ich mich mehr mit dem Glauben auseinandergesetzt. Ich denke, für Kinder kann Glaube Halt geben. Ob der Glaube an den Weihnachtsmann da reicht, weiß ich allerdings nicht.

"Ich glaube an Engel"

Angela Jehring.
Angela Jehring.

© Mike Wolff

Name: Angela Jehring

Alter: Engel sind zeitlos
Beruf: Schauspielerin, Sprecherin, Psychologiestudentin

Für mich ist Engelsein mehr als eine Rolle. Ich glaube an Engel, daran, dass jeder Mensch Gutes in sich trägt und auch für andere etwas Gutes tun kann. Ich will den Menschen vermitteln, dass es mehr gibt als materielle Werte, dass ein Miteinander viel wichtiger ist.

Wenn ich Engel bin, habe ich einen anderen Zugang zu den Menschen. Neulich hatte ich einen Auftritt in einem Einkaufszentrum. Einer Frau kamen bei meinem Anblick die Tränen. Sie erzählte mir, dass ihr Sohn vor zwei Monaten gestorben sei. In solchen Situationen muss ich spontan reagieren. Ich habe ihr die Hand auf die Schulter gelegt.

Einmal war ich in einer Familie, bei der sich eine Mutter und ihre erwachsene Tochter fünf Jahre nicht gesehen hatten. Schon als ich hereinkam, merkte ich, dass niemand wusste, was er sagen soll. Zum Glück hatte mir ein Freund am Tag zuvor eine E-Mail mit einem Spruch geschickt: „Wir Menschen sind Engel mit nur einem Flügel, und um fliegen zu können, müssen wir uns umarmen“. Den habe ich dann aufgesagt. Da lagen sich Mutter und Tochter in den Armen, und die Tränen liefen.

Die Weihnachtszeit ist eine intensive Zeit für mich. Früher bin ich nach Weihnachten immer in ein Loch gefallen und hatte das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Nach Heiligabend war ich voller Euphorie und hätte noch zehn Auftritte mehr machen können. Ich wollte nicht wieder ein Jahr warten müssen.

Mittlerweile habe ich eine Agentur gegründet und entsende selbst am Heiligen Abend Weihnachtsmänner und Engel. Zusätzlich bieten wir beispielsweise Auftritte am Valentinstag oder im Sommer auf Hochzeiten an. So kann ich das ganze Jahr Engel sein. Schon Wochen vor Heiligabend organisiere ich die Routen für die Weihnachtsmänner und Engel und stelle den Kontakt mit den Eltern her. Da wir es als unsere Aufgabe ansehen, die Kinder froh zu machen, gilt die Regel: Maximal ein negativer Punkt wird ins goldene Buch aufgenommen, der aber auch so positiv wie möglich formuliert wird. Wenn ein Kind seinen Schnuller abgeben soll, dann sagen wir: „Ich habe gehört, dass es schon ab und zu ohne Schnuller klappt, das ist ja super.“ Die Eltern fordern wir dann noch auf, geduldig zu sein.

Bei den Engeln und Weihnachtsmännern, die für meine Agentur unterwegs sind, ist mir die herzliche Art am wichtigsten. Sie müssen auf die Kinder eingehen, nicht nur ihr Programm abspulen. Wenn mir in der S-Bahn jemand auffällt, der herzlich ist, spreche ich die Leute an und frage, ob sie Lust hätten, Engel zu sein.

"Weihnachtsmänner gehen nicht zur Toilette"

Jens Frese.
Jens Frese.

© Mike Wolff

Name: Jens Frese

Alter: 58
Beruf: Kartenleger und Müllsortierer

Schon bei meinen eigenen Kindern habe ich den Weihnachtsmann gespielt. Weiter ging es dann bei meinen Enkelkindern, die mit der Zeit aber verstanden, dass ihr Opa nur den Weihnachtsmann mimt. Dann kam der Abend, an dem ich mit meinen Enkeln am gedeckten Weihnachtstisch saß, meine Tour hatte ich schon hinter mir und war irdisch gekleidet. Da klingelte es an der Tür. Meine Enkelin Chanti öffnete – und draußen stand ein anderer Weihnachtsmann. Völlig überrascht kehrte sie in Begleitung des Herrn an den Tisch zurück. Und plötzlich stand für sie fest: „Jetzt weiß ich es, es gibt ihn, den Weihnachtsmann.“

Meine Arbeit als Weihnachtsmann ist mehr als ein Job für mich. Wenn ich in eine Familie gehe, möchte ich den Kindern Freude, Geborgenheit und Frieden bringen. In dem Moment sollen die Kinder Kinder sein können. Der Weihnachtsmann ist heilig. Sobald ich eintrete, verbreitet sich eine besondere Stimmung im Raum. Meine tiefe Stimme wirkt beruhigend auf die Menschen. In diesem Moment fühle ich mich fast selbst wie eine heilige Figur. Das heißt auch, dass ich während meiner Besuche nicht zur Toilette gehe, denn das macht der Weihnachtsmann einfach nicht.

Ich habe schon vieles gesehen. Riesige Villen mit Menschen, die fein gekleidet waren, aber eiskalt im Umgang miteinander. Dann wiederum komme ich in Familien, die ganz offensichtlich nicht viel Geld haben, das sehe ich an der Kleidung. Ich erinnere mich an eine Wohnung, in der der Vater am Weihnachtsabend eine ausgefranste Anzugjacke trug. Für die Familie war es das Höchste, dass die Tochter ihr Abitur machen konnte. Sie hat mir auf einem Plastikklavier ein Lied vorgespielt. Es war ein sehr rührender Moment.

So etwas sind die schönsten Erinnerungen: Menschen, die nicht viel haben, aber doch glücklich sind. Einmal war ich in einer extrem kleinen Wohnung zu Gast. Die 18 Quadratmeter waren alles, was die Familie hatte. Trotzdem erschien mir dieser winzige Raum wie ein Palast, weil die Menschen darin so zufrieden und glücklich waren.

"Ich binde mir Pullover um den Bauch, um dicker zu wirken"

Fernando-Gabriel Simone.
Fernando-Gabriel Simone.

© Mike Wolff

Name: Fernando-Gabriel Simone

Alter: 53
Beruf: Tango-Musiker und Coach

An Weihnachten nehme ich die Identität des Weihnachtsmannes an – ich glaube dann selbst, dass ich der Weihnachtsmann bin. Dazu gehört auch das Kostüm. Zu Hause lege ich Bart und Perücke an, schminke mich und binde mir zwei Pullover um den Bauch, um dicker zu wirken. Am 24. verlasse ich im Kostüm das Haus und behalte es den ganzen Tag an. Mein Weihnachtsmann-Outfit habe ich aus dem Theaterfundus, und ich fühle mich sehr wohl darin. Klar, wenn ich bei den Familien bin, wird es manchmal warm unter dem dicken Stoff, aber das gehört dazu.

Viel wichtiger als das Kostüm ist jedoch die innere Einstellung. Sobald ich einen Raum betrete, strahle ich Autorität aus. Wenn du ein guter Weihnachtsmann bist, merken Eltern und Kinder das sofort und respektieren dich. Du darfst alle duzen, Großvater, Mutter, Uropa. Diese Möglichkeit nutze ich, um innerhalb der Familien Entwicklungen anzustoßen. Wenn ich reinkomme, schaue ich gleich: Wo sitzen Oma und Opa, wo die Eltern, wo die Kinder? Wenn ich zum Beispiel merke, dass die Großeltern zu weit weg sind, setze ich die Familienmitglieder um. Dann wird es gleich gemütlicher.

Am Weihnachtsabend wünsche ich mir von den Familien vor allem Spontaneität. Für den Weihnachtsmann ist nichts doof, schon gar nicht ein fehlerhaftes Gedicht. Ich freue mich, wenn das Kind sich getraut hat, es mir aufzusagen. Noch mehr freue ich mich, wenn die Eltern dem Kind vermitteln, dass es seine Sache gut gemacht hat, auch wenn ein paar Versprecher dabei waren. Wir Erwachsenen bewerten ja immer alles gleich – das war gut, das war schlecht. Kinder machen das nicht.

Was ich als Weihnachtsmann in den Familien mache, passt zu meiner Arbeit als Coach. Auch da versuche ich herauszufinden, was die Menschen wirklich im Leben wollen. Ähnlich lief es zum Beispiel letztes Jahr bei einer Familie, die den ganzen Weihnachtsabend durchgeplant hatte: Ein Kind spielte etwas auf dem Klavier, ein anderes sagte ein Gedicht auf, das dritte turnte mir etwas vor. Volles Programm, doch die Stimmung war angespannt. Da fragte ich die Kinder: „Was wollt ihr gerade von Herzen machen?“ Sie sagten: „Eigentlich wollen wir nur am Tisch sitzen und uns unterhalten.“

Sobald wir gemeinsam am Tisch saßen, stimmten die Kinder spontan ein Lied an, danach fingen auch die Eltern an, Lieder aus ihrer Kindheit zu singen. Die Situation war gleich viel entspannter. Nach Weihnachten rief die Mutter mich an und sagte mir, wie toll es für alle war.

Und zum Schluss: 24 Fragen an den Oberweihnachtsmann

Stephan B. Antczack.
Stephan B. Antczack.

© Mike Wolff

Name: Stephan B. Antczack („Stippi“)

Alter: 50
Beruf: Sozialpsychiatrischer Fachkrankenpfleger

Es gibt dieses Video von der „Weihnachtsmannvollversammlung“ 2012: Santa Stippi steht auf einer Bühne und stimmt Hunderte anderer Weihnachtsmänner ein. Ausgebreitete Arme, dröhnendes Ho-Ho-Ho, Glockengeläut, Mützengewackel. Von 2008 bis 2013 leitete Stephan Antczack das Weihnachtsmannbüro des Berliner Studentenwerks. Er führte Workshops für Weihnachtsmänner und Engel ein. Heute lässt die Weihnachtsmannlegende es etwas ruhiger angehen – aber für einen kleinen Sack voller Fragen ist immer Zeit.

1. Herr Oberweihnachtsmann, beginnen wir mit den wichtigen Dingen: dem Geld. Mal ganz ehrlich: Rentiert sich der Job überhaupt?

Hmmm, rentiert, rentier, Rentier! Also, Rentiere hat der Weihnachtsmann natürlich. Die halte ich in Lappland.

2. Okay, anders gefragt: Was für ein Schlitten steht vor Ihrer Tür?

Mein Schlitten heißt Schneeflöckchen, damit reise ich durch Berlin und finde die Kamine. Der Schlitten ist weiß und hat eine wunderbare Lenkstange. Die Klingel ist nicht sonderlich laut.

3. Wirklich Kamin oder doch eher Fahrstuhl?

Kamin natürlich. Wobei: Der Fahrstuhl ist für mich nichts anderes als ein Kamin.

4. Haben Sie ein Lieblingsgedicht?

Es gibt viele schöne Gedichte. Sehr gerne mag ich „Brave Kinder“ von Artur Troppmann. In dem Gedicht geht es darum, dass Kinder nicht immer brav sein müssen. Dazu möchte ich die Kinder an Weihnachten ermutigen. Die Eltern erzählen mir ständig, dass die Kinder nicht hören. Kinder sollen aber nicht nur das machen, was die Eltern wollen. Es ist sehr gesund, dass sie ihre eigene Meinung entwickeln. Ich möchte das nicht das ganze Jahr aushalten. Aber so ist das, Kinder können einem auch mal auf die Nerven gehen.

5. Lego oder Playmobil?

Ganz klar Lego. Da kann man auch was bauen.

6. Bartfrage: Barbier oder Kostümverleih?

Wollen Sie mal dran ziehen?

7. Nein, danke. Tanne oder Fichte?

Tanne. Riecht gut.

8. Hand aufs Herz, Christkind oder Deichkind?

Was ist denn Deichkind? Christkind natürlich, was denn sonst?

9. Reicht es, nur seinen Stiefel durchzuziehen?

Es kommt Routine, aber die ist verdammt gefährlich. Wenn du fünf Mal am Tag die gleichen Lieder singen musst, bist du beim vierten Mal meist nicht mehr richtig dabei. Dann frage ich mich, welche Strophe war das jetzt? In solchen Situationen denke ich mir mit dem Philosophen und ehemaligen FU-Professor Herbert Marcuse: Weitermachen!

10. Wie spricht man Sie nun eigentlich korrekt an: Herr Weihnachtsmann, lieber guter Weihnachtsmann, Santa Klaus, lieber Nikolaus?

Wie es beliebt. Die Obdachlosen an der Marienkirche nennen mich Stephan. Ansonsten hat sich in der Weihnachtsmann-Szene der Name Santa Stippi durchgesetzt.

11. Klare Hierarchien oder Elf-Freunde?

Freunde, unbedingt. Früher haben wir Weihnachtsmänner uns nach unseren Touren immer in der Stadtklause in der Bernburger Straße getroffen. Wobei: Enge Freunde, die Weihnachtsmänner sind, habe ich wenige. Die Weihnachtsmänner sind ein schriller Haufen, die Leute sind narzisstisch, stehen gerne im Mittelpunkt, viele sind auch sehr eigensinnig. Aber Zusammenhalt hilft auf jeden Fall gegen den Stress.

12. Bei so viel Keksen und so viel Milch, auf welche Diät schwören Sie im Januar?

Auf die 1:0-Diät. Das heißt, einen Tag essen und einen Tag nicht essen. Das mache ich seit drei Jahren. Funktioniert hervorragend, im ersten Jahr habe ich fast 40 Kilo abgenommen.

13. Jetzt mal unter uns: Gibt es den Osterhasen eigentlich wirklich?

Klar. Das sind die Burschen, denen ich die Ohren lang gezogen habe.

14. Welches ist das härteste Türchen Berlins?

Die Tür des roten Rathauses.

15. Andere Frage: Wo ist eigentlich Drausvomwalde? In Brandenburg?

Zum Beispiel. Aber ursprünglich komme ich natürlich aus Finnland.

16. Wo genau steht da Ihre Krippe?

Am Korvatunturi, dem großen Ohrenberg an der finnisch-russischen Grenze.

17. Stimmt die Legende, dass Sie in Wirklichkeit nur eine werbewirksame Erfindung von Coca Cola sind?

Nein, stimmt nicht. Nachzulesen ist meine Geschichte in Frank Baums Buch „Leben und Abenteuer des Santa Claus“. Ich wurde als Baby im Wald ausgesetzt und von Fabelwesen großgezogen. Coca Cola hat damals bloß nach einer Werbekampagne gesucht, und ich habe ein bisschen geholfen. Der Weihnachtsmann lässt ja viel mit sich machen. Heute würde ich allerdings lieber Werbung für Red Bull machen. Das verleiht wenigstens Flügel.

18. Auf welcher R(o)ute fliegen Sie denn am 24. durch Berlin?

Ich persönlich bin im Süden der Stadt unterwegs. Erst am späten Abend kehre ich wieder in Prenzlauer Berg ein. Meine ungefähre Route führt von Marienfelde über Mahlow, Teltow und Großbeeren bis nach Kleinmachnow.

19. Ein Glühwein, sswei Lüwein, hei Hüei – oder niemals betrunken im Dienst?

Santa Stippi ist trockener Alkoholiker.

20. Spielsüchtig nach Wichteln?

Ich bemühe mich grundsätzlich um Abstinenz, wenn es um süchtige Angelegenheiten geht. Da ich aber ohnehin eher einen Hang zur Arbeitssucht habe, ist Spielen für mich ein Mittel zur Genesung. Und da ist doch gegen Wichteln nichts einzuwenden.

21. Wie viele Weihnachtsmänner kommen tatsächlich vom Nordpol?

Beim Studentenwerk gab es zumindest immer wieder welche, die aus Nordpolen kommen.

22. Bach oder Wham?

Bach. Gegenfrage: Johann Sebastian oder Carl Philipp Emanuel?

23. Der Vater. Bei all dem, was Sie so erleben: Glauben Sie überhaupt selbst noch an den Weihnachtsmann?

Selbstverständlich.

24. Letzte Frage: Ho-ho-holen Sie Weihnachten eigentlich irgendwann nach?

Wieso nachholen? Ich bin doch mittendrin. Ich feiere auch mit der Familie, aber eben mit ganz vielen Familien.

Dieser Text erschien zunächst am 24. Dezember 2016 in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Stefanie Sippel

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