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Schöner Wohnen: Neues Bauprojekt am Gleisdreieck

Viele Jahre lag das Gelände an der U-Bahn brach. Heute ist es zur Hälfte begrünt und wandelt sich im Zuge neuer Bauprojekte zu einem Ort fürs Wohnen. Ob sich dort ein lebendiger Kiez entwickeln wird, ist dennoch schwer abzuschätzen - ebenso wie die Auswirkungen des Zuzugs für die alten Quartiersbewohner.

Schlammig. Das war jahrelang die erste und einzige Assoziation mit dem seltsamen Gelände. Wenn die U1 den Bahnhof Gleisdreieck in Richtung Kurfürstenstraße verlässt, überquert sie eine Fläche, die bisher ein Unort war. Wüst und leer, abgeschottet und ungenutzt, gefangen in einer berlintypischen Vorläufigkeit. Aber jetzt findet das Areal zu einer Bestimmung. Bagger dröhnen, Planierraupen asphaltieren neue Straßen, viele Bäume sind gepflanzt, Rasen ist gesät, sogar Laternen stehen schon. Bald wird sich hier, unmittelbar unter den Viadukten der U1 und U2, der „Park am Gleisdreieck“ ausbreiten. Er ist zweigeteilt, die östliche Hälfte wurde bereits 2011 eröffnet. Wer dort spazieren geht, merkt schnell, dass die Gegend ihre Vergangenheit als Bahngelände nicht leugnet. Überall Schienen, die nirgendwohin mehr führen, ehemalige Stellwerke zwischen Wiesen und Wäldchen. Bis Kriegsende war Berlin Eisenbahnmetropole. Der Potsdamer und Anhalter Bahnhof, zu denen diese Schienen einst geführt haben, sind verschwunden, ihre Anlagen überwuchert. Wenigstens sind sie jetzt, durch Zäune oder Schilder gesichert, endlich als Erholungsgebiet zugänglich. Und sogar Bahnverkehr gibt es noch – auf der Zufahrt zum Tunnel Richtung Hauptbahnhof.

Warum hat es so lange gedauert, bis hier ein Park entstehen konnte? Nach dem Mauerbau war nicht klar, ob auf den ehemaligen Gleisanlagen nicht doch noch eine Autobahn, die umstrittene Westtangente, gebaut wird. Deswegen geschah hier lange Zeit nichts. Und auch nach der Wende schwappte der Bauboom am Potsdamer Platz nicht über die psychologisch wichtige Grenze des Landwehrkanals nach Süden. Das Gelände diente stattdessen als Logistikzentrum für die nahe gelegenen Neubauten, war eine für Fußgänger und Radfahrer ärgerliche Barriere auf dem direkten Weg von Kreuzberg nach Schöneberg. Später siedelte sich vorübergehend ein Golfplatz an, weiter südlich entstanden Beachvolleyballfelder. Die sollen jetzt in den neuen Westpark eingebunden werden. Die Arbeiten kommt schneller voran als geplant, heißt es bei der landeseigenen Grün Berlin GmbH. Ursprünglich war die Eröffnung für Herbst 2013 geplant, jetzt ist vom Frühjahr die Rede.

Dass so lange nichts geschah, lag auch daran, dass sich Bezirk und Senat erst mit der CA Immo (ehemals Vivico) als Eigentümerin der Bahnflächen einigen mussten. Von den insgesamt 42 Hektar verkaufte oder übertrug die CA Immo 30 Hektar an das Land Berlin, dafür darf sie auf den verbliebenen 12 Hektar Wohnen und Gewerbe ansiedeln – jetzt wurde bekannt, dass die CA Immo das Land teilweise an die Berliner Groth Gruppe verkauft hat, die das „Flottwell Living“ genannte Projekt nun entwickeln wird. Die Flottwellstraße, die westlich am neuen Park entlangführt, profitiert stark von der Entwicklung. Zehn Häuser mit 155 Eigentums- und 120 Mietwohnungen sollen dort entstehen. Sie werden den Park im Norden zum Flaschenhals verengen. Baubeginn könnte Ende 2012 sein – dann verschwindet auch die historische Backsteinmauer an der Flottwellstraße. Sie ist eines der letzten Zeugnisse der Eisenbahnära.

Folgen für angrenzende Kieze

Die Nähe zum entstehenden Park lockt neue Bevölkerungsschichten in die Flottwellstraße. Wie das Bahngelände, so war auch die parallel verlaufende Straße lange innerstädtische Peripherie. Und dabei ist der Name eigentlich mit einer früheren Aufbruchsphase Berlins verbunden: Heinrich Eduard von Flottwell (1786-1865) stammte aus Insterburg bei Königsberg, er war hochrangiger preußischer Beamter und Innenminister zu einer Zeit, in der Berlin sich anschickte, Reichshauptstadt zu werden. Noch in seinem Todesjahr wurde die Straße nach ihm benannt. Aber bis vor kurzem war sie Heimstätte von Autowerkstätten, Reifenhändlern, Lagerhäusern und Druckereien, eine Vergangenheit, die sie erst jetzt abstreift. Überall hämmert und klopft es, mehrere Baugruppen errichten auf der Westseite der Straße rund 300 Wohnungen. Im Rohbau fertig ist das Projekt „Lützow 1“, von „Metropolis“ gegenüber wird die erste Etage gerade gebaut. Noch ist schwer abzuschätzen, ob hier Cafés, Gewerbe und urbanes Leben einziehen werden – oder selbstbezügliche Vorstadtmentalität. Klar ist nur: Es werden insgesamt zwischen 1000 und 1500 neue Bewohner ins Quartier kommen.

Sehen Sie hier: Gepflegtes Grün und Wildwuchs im "Park am Gleisdreieck"

Das schafft natürlich auch Ängste. Hier, im Hinterland der Potsdamer Straße, sind die Einkommen zwar niedrig, aber das Leben hat sich eingependelt. Rentner schauen aus dem Fenster auf die Kleingärten unter der U-Bahn, man hat seine Ruhe – abgesehen vom ewigen Quietschen der U-Bahnen, die sich beim Gleisdreieck in die Kurve legen. Das könnte sich jetzt ändern: „Natürlich gibt es auch Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung“, sagt Jörg Krohmer vom Quartiersmanagement Magdeburger Platz-Tiergarten Süd, der den Prozess in zahlreichen Diskussionsveranstaltungen in den letzten Jahren begleitet hat. Dem Quartiersmanagement wächst eine neue Rolle zu: Einst geschaffen, um den Kiez vor dem Kippen zu bewahren, muss es jetzt vor allem die Auswirkungen des Zuzugs moderieren. „Wir wollen die Neuen integrieren. Dies wird kein zweites Prenzlauer Berg“, glaubt Krohmer. Carsten Spallek, zuständiger Baustadtrat von Mitte, begrüßt die Entwicklung: „Hier leben viele sozial benachteiligte Bewohnergruppen, eine Durchmischung der Struktur durch mittelständische Bevölkerung ist deshalb positiv zu bewerten.“ Gerade Baugruppen würden wegen ihres häufig zu beobachtenden sozialen Engagements zur Stabilisierung beitragen.

Die neue Zeit wird vielleicht am besten durch einen Kontrast symbolisiert: Das Haus Flottwellstraße 2 war das erste, das fertig und bezogen wurde. Es ist unmittelbar neben einem typischen Wiederaufbau-Haus der 50er Jahre errichtet, das seinem neuen Nachbarn vor allem Satellitenschüsseln zuwendet. Zwei grundverschiedene Welten. Noch herrscht Schweigen zwischen den neuen und den alten Quartiersbewohnern. Wenn sich das mal ändert, dann wäre es da, das neue Berlin.

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