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Berlin: Schon morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung

Jugendpolitiker aller Parteien klagen über die Vernachlässigung der 12- bis 14-Jährigen. Für die so genannten Lückekinder fehlen die Betreuungsangebote

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Eine abendliche Ausgangssperre für Kinder? Nein, das ist nicht das Thema, das die Jugendpolitiker in Berlin bewegt. „Davon halte ich nichts“, sagt auch der CDU-Abgeordnete Sascha Steuer über den Vorschlag des CSU-Generalsekretärs Markus Söder. „Der Staat ist nicht dafür da, sich rund um die Uhr um Kinder zu kümmern, die von ihren Eltern vernachlässigt werden.“

Diese Vernachlässigung fange morgens um sieben Uhr an, sagt die FDP-Jugendexpertin Mieke Senftleben, „wenn den Kindern kein Schulbrot gemacht wird“. Viele Schüler blieben bis in den Nachmittag hinein ohne Frühstück und Mittagessen, weiß auch die PDS-Abgeordnete Margrit Barth. Die hätten oft richtig Hunger. In Marzahn habe es bis vor wenigen Monaten ein Essenangebot für Kinder gegeben, die zu alt für die Hortbetreuung sind, berichtet die Grünen-Jugendpolitikerin Ramona Pop. Ein Angebot, das inzwischen weggefallen ist.

Aber es geht ja nicht nur um die gesunde Ernährung, sondern um die Erziehung und sinnvolle Beschäftigung jener kleinen Menschen, die aus der Kita und Grundschule in die Vorpubertät hineinwachsen. Die sich schon groß fühlen, aber noch liebevolle Unterstützung brauchen. 12- bis 14-Jährige, die gewalttätig werden, stehlen, Alkohol trinken oder gar Drogen nehmen und sich nachts auf der Straße herumtreiben, wenn sie extrem vernachlässigt werden. Wenn es weniger schlimm kommt, machen sie keine Schularbeiten und hocken stundenlang vor dem Fernseher oder PC. „Lückekinder“ nennt man diese Altersgruppe, weil es für sie – außerhalb der Schule – keine obligatorischen Betreuungsangebote gibt.

Es existieren nur Anlaufstellen, zu deren Finanzierung der Staat nicht verpflichtet ist: Sportvereine; bezirkliche Jugendfreizeitheime; Internetcafés in gemeinnützigen Jugendtreffs; Breakdance-Kurse und Ferienfahrten der Kirchengemeinden; Schüler-Clubs und Hausaufgabenbetreuung in Bibliotheken. Auch in den Berliner Gesamtschulen und in den neuen Ganztagsschulen, die in den nächsten Jahren – Zug um Zug – eingerichtet werden, sind Kinder bis zwölf Jahre bis zum Nachmittag gut aufgehoben.

Ein Angebot, dass in der Großstadt Berlin sicher besser ist als auf dem flachen Land. Da sind sich die Jugendpolitiker parteiübergreifend einig. Aber: Dieses Angebot wird aus finanziellen Gründen immer mehr ausgedünnt. Eine Milchmädchenrechnung, findet der Christdemokrat Steuer. „Wir wollen alle die teure Heimerziehung vermeiden; aber dann dürfen nicht gleichzeitig die präventiven Maßnahmen gestrichen werden.“

Einig sind sich die Experten auch in einem anderen Punkt: Die Kinder, von denen hier die Rede ist, haben Eltern und die stehen in der Erziehungspflicht. „Das Elternhaus bleibt eine wichtige Kraft“, sagt auch die Sozialistin Barth. „Staatliche Betreuung hilft wenig, wenn die Eltern sich verweigern“, sagt die FDP-Frau Senftleben, selbst Mutter von fünf Kindern. Die SPD-Jugendexpertin Christa Müller fühlt sich oft schief angeguckt, wenn sie fordert, „dass die Familien wieder mehr in die Pflicht genommen werden müssen“.

Die besondere Situation in der Single-Hauptstadt Berlin macht es für die Eltern allerdings nicht einfacher, solche Forderungen zu erfüllen. Es gibt kaum eine andere deutsche Stadt mit so vielen Alleinerziehenden, Bedürftigen und Menschen ausländischer Herkunft. Armuts-, Bildungs- und Integrationsprobleme treffen aber vor allem Menschen mit Kindern. Wer am meisten darunter leidet, sind die Kinder selbst.

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