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Wehrhafter Politiker. Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber scheut die Auseinandersetzung mit linken Randgruppen nicht. Für viele ist er dort eine Hassfigur.

© Mike Wolff

Update

"Schreiber du dumme Sau": Anwalt will verklagtem Twitterer helfen

Ein junger Mann soll 300 Euro zahlen, weil er den SPD-Politiker über Twitter beleidigt haben soll. Ein bekannter Strafverteidiger will ihm nun helfen.

Der Berliner SPD-Politiker Tom Schreiber hat erreicht, wofür der türkische Präsident Erdogan im Streit um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gerade vor Gericht gezogen ist. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen einen jungen Mann eine Strafe von 300 Euro wegen Beleidigung erlassen. Die Justiz ahndete damit einen Tweet, den ein Nutzer aus der linken Szene veröffentlichte –  inzwischen aber wieder gelöscht hat. Schreiber hatte wegen "Schreiber, du dumme Sau / ... / Ich haue deine Fresse blau" Strafanzeige erstattet. Am Montagabend veröffentlichte Schreiber, der sich den Tweet gespeichert hatte, diesen auf seinem Profil. "Ich halte viel aus, aber bei Beleidigungen und Gewaltandrohungen ziehe ich die Grenze und bringe es zur Anzeige", teilte Schreiber mit.

Am Sonnabend hatte sich beim Tagesspiegel ein bekannter Rechtsanwalt gemeldet, der den wohl mittellosen Schüler gratis verteidigen will. Auf dieses Angebot ging der Schüler am Sonntag ein.

Zunächst hatte er über Twitter mitgeteilt, dass er den Strafbefehl wohl akzeptieren werde, da ein Anwalt zu viel Geld kosten würde: „300 Euro sind nicht wenig für mich. Ich hab keine Lust und Kraft, um mich vor Gericht mit ihm zu streiten“, schreibt der Mann unter Fantasienamen. Und weiter: „300 Euro dafür, dass ein SPD-Politiker sich aufführt wie der König von Köpenick“, heißt es in einem anderen Tweet des jungen Mannes, der nach eigenen Angaben noch Schüler ist. Um welche Beleidigung es genau ging, konnten weder die Staatsanwaltschaft noch Tom Schreiber gestern klären. „Der war oftmals beleidigend und machte Fotocollagen“, sagte Schreiber über den Twitterer.

Diesen Tweet hat Schreiber angezeigt.
Diesen Tweet hat Schreiber angezeigt.

© Twitter

Hashtag #tomduarschloch

Auf Anfrage wollte der in Rheinland-Pfalz lebende Mann „aus strategischen Gründen“ nichts sagen. In einem Blog im Internet schreibt er: „Ein Tweet halt. Ein Witz. Hat sich sogar gereimt. War ganz lustig. Lyrisch fast wertvoll. Wiederhol‘ ich hier lieber nicht. Sonst werden’s 600 Euro oder noch mehr. Wer rechnet denn damit, dass man für einen harmlosen Tweet, einen Witz halt, im politischen Diskurs, angezeigt wird?“ Ganz unbedarft scheint der Mann nicht zu sein, sein Twitter-Account nennt fast 200 000 versendete Tweets. Zum Vergleich: Die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann, eine der aktivsten Twitterinnen, kommt nur auf 25 000. Oliver Höfinghoff, der für die Piraten im Abgeordnetenhaus veröffentlichte 88.000 Tweets.

Schreiber hat mehrere Anzeigen in den vergangenen Monaten wegen Beleidigungen und Bedrohungen gestellt. „Wir müssen in der Politik eine ganze Menge aushalten, aber Hasstiraden gehen zu weit“, sagte Schreiber dem Tagesspiegel. Der Köpenicker Abgeordnete engagiert sich seit Jahren gegen linksextremistische Gewalt. Schon vor Monaten hatte sich bei Twitter der Hashtag #tomduarschloch verbreitet. Schreiber nannte den Strafbefehl einen „Warnschuss“ und hofft, dass ein Nachdenken einsetzt. Der zu 300 Euro verdonnerte Schüler zieht für sich folgende Konsequenz: „Was ich gelernt habe? Ich muss subtiler beleidigen.“

Zahlreiche Reaktionen bei Twitter

Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, betonte Schreiber. Von anderen Anzeigen, die er wegen beleidigender Äußerungen im Netz gestellt habe, wisse er nicht, wie sie ausgegangen sind. „Ich bekomme nicht immer eine Rückmeldung von der Justiz“, bedauert der Politiker. Andere Strafanzeigen habe die Justiz eingestellt mit der Begründung, dass Politiker auch einstecken müssten. Deshalb sei die nun verhängte Strafe positiv zu bewerten.

Auf die Veröffentlichung der 300-Euro-Strafe gab es bei Twitter am Freitag zahlreiche weitere Tweets mit Beleidigungen oder Drohungen, „Tom Anzeigenschreiber“ ist noch die netteste Bemerkung. An anderer Stelle wurde am Freitag gefordert: „Zu tomschreiber nach hause fahren und den 300 Euro tweet an seine hauswand sprayen.“ Vor einiger Zeit wurde anonym die Privatadresse des Politikers im Internet veröffentlicht.

Anschläge auf Wahlkreisbüros des Politikers

Der SPD-Abgeordnete liefert sich seit Jahren einen „Kleinkrieg“ (so die „taz“) mit der linken Szene in Berlin im Allgemeinen und den Autonomen in Friedrichshain im Besonderen. Ganz zimperlich ist auch Schreiber nicht. Linke Randalierer hat er schon als „Luschen“ bezeichnet. Auf sein Wahlkreisbüro gab es in der Vergangenheit schon Farbanschläge und Drohungen. Unter Polizeischutz steht Schreiber noch nicht, vor dem 1. Mai erhielt er für ein Fernsehinterview in der Rigaer Straße sicherheitshalber einige Polizisten beiseite gestellt. An einer Kreuzung dort wurde an eine Fassade geschmiert: „Menschen sterben, Tom schweigt / Autos brennen, Tom schreit.“ Der Angesprochene kommentierte das so: „Die linksautonome Szene reagiert allergisch, wenn man linke und rechte Gewalt gleichsetzt.“

Zuletzt war Schreiber und Innensenator Frank Henkel (CDU) per Internet ein Tod „im Kofferraum“ angedroht worden. 1977 war der damalige Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer von der RAF getötet und anschließend im Kofferraum eines Autos aufgefunden worden. Die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen wegen Aufforderung zu Straftaten eingeleitet, ein Sprecher konnte am Freitag nichts zum aktuellen Stand des Verfahrens sagen.

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