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Schule: Abi-Stress: Eltern fordern Schulessen

Acht Stunden Unterricht ohne Kantine, das verkürzte Abitur - und seine Folgen: Die Eltern gestresster Schüler protestieren gegen die Bedingungen im modernen Schulalltag. eine Arbeitsgruppe in der Bildungsverwaltung berät nun über neue Ganztagsmodelle.

Mit dem Lateinbuch zum Sonntagsausflug, mit quietschenden Reifen zum Klavierlehrer, zwischendurch schnell ein Hamburger und bloß kein Leerlauf – so in etwa muss man sich zurzeit den Schulalltag gutbürgerlicher Siebt- und Achtklässler vorstellen, die auf das verkürzte Abitur zustreben. Inzwischen gibt es erste Proteste gegen den zusätzlichen Schulstress, aber auch Mahnungen von Kinderärzten, es den Schülern nicht unnötig schwer zu machen.

„Die Schüler brauchen ein warmes Mittagessen, Bewegung und längere Pausen“, fordert der Wilmersdorfer Kinderarzt Martin Karsten angesichts der Befunde in seiner Praxis. Zu ihm kommen immer mehr Heranwachsende mit Kopfschmerzen, Magendrücken und Schlafstörungen, die nicht organisch krank, sondern einfach gestresst sind. Karsten kann ihnen zwar autogenes Training anbieten, um den Stress leichter bewältigen zu können. Aber er weist auch darauf hin, dass ein Teil der Probleme von den Eltern „hausgemacht“ sind, weil sie – aus Angst vor dem sozialen Abstieg aus ihrem gutbürgerlichen Milieu – ihre Kinder zusätzlich unter Druck setzen.

„Wenn ich sage, dass ein Kind mal zwei Tage zu Hause bleiben soll, erstarren die Mütter ja schon zur Säule aus Angst, dass Unterrichtsstoff verpasst wird“, berichtet Karsten, der seine Praxis am Rüdesheimer Platz hat. Diese Mütter begnügen sich nicht mit einem einfachen Abitur, hat Karsten beobachtet: Sie wollen ihre Kinder möglichst noch früher als jetzt üblich einschulen, sie pauken mit ihnen für die Aufnahmeprüfung am grundständigen Gymnasium, sie zittern schon bei einer Drei. Und sie wollen sich nicht eingestehen, wenn ihr Kind überfordert ist, beobachtet Karsten.

Dieses „Nicht-eingestehen-Wollen“ sei wohl auch der Grund dafür, dass die Proteste gegen das Turboabitur bisher nicht so laut sind, vermutet der Kinderarzt. Umso mehr begrüßt er es, dass Eltern des Lichterfelder Goethe-Gymnasiums das Stillhalten beenden und zumindest ein warmes Essen für die Kinder einfordern: Heute bereiten sie unter freiem Schulhofhimmel warme Würstchen zu, denn ihre Kinder haben neun Stunden Unterricht.

Auch die Senatsverwaltung für Bildung hat inzwischen erkannt, dass man die Schulen mit den Folgen der Abiturverkürzung nicht alleinlassen kann: Sie hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit Modellen für den Ganztagsbetrieb befasst. Beteiligt sind neben dem Landesinstitut für Schule und Medien auch Gymnasien wie die Neuköllner Albert- Schweitzer- und die Zehlendorfer Werner-von-Siemens-Schule.

Die Arbeitsgruppe soll klären, wie der Unterricht etwa mit Arbeitsgemeinschaften verzahnt werden kann und soll errechnen, wie viel Personal man braucht, wenn etwa Hausaufgabenbetreuung angeboten wird. Zudem soll es um die Bedingungen für ein warmes Essen gehen und um den Raumbedarf. Im Übrigen hat der zuständige Referatsleiter Gerhard Nitschke eine Abfrage gestartet, um herauszufinden, wie viele Gymnasien in absehbarer Zeit überhaupt Mittagessen anbieten können. Für die Realschulen steht diese Abfrage noch aus.

Wie berichtet, sind die Schulen bislang unterschiedlich weit. Zum einen liegt das daran, dass die Bezirke sich nicht gleichermaßen für den Ausbau der Kantinen und Cafeterien interessieren, zum anderen liegt es auch an den Schulen selbst. Manche Schulleiter lehnen eine verlängerte Mittagspause etwa mit dem Hinweis ab, dass die Schüler dagegen gestimmt hätten. „So etwas sollte man gar nicht zur Abstimmung stellen“, findet Kinderarzt Karsten. Die Kinder seien nun mal nicht in der Lage, die Folgen abzuschätzen, die es habe, wenn sie jahrelang kein warmes Mittagessen bekämen. Er hofft, dass sich die Eltern für ein Umdenken in den Schulen stark machen. Und dort, wo es keine so engagierten Eltern gebe, müsse das eben der Staat tun.

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