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Schule: Streit um Ethikunterricht spaltet die Stadt

"Werte gibt es nicht nur mit Gott": Mit der Kampagne gegen das Schulfach Ethik riskiert "Pro Reli" ein neues Ost-West-Zerwürfnis, befürchtet Carola Bluhm, Fraktionsvorsitzende der Linken.

Die rot-rote Koalition hat 2006 entschieden, für alle Kinder ab der 7. Klasse das Fach Ethik auf den Lehrplan zu setzen. Sie trug damit dem gewachsenen Bedürfnis Rechnung, in den Schulen stärker als bisher die Diskussion über die Werte menschlichen Zusammenlebens zu führen. Konflikte wie die an der Rütli-Schule haben diese Entscheidung befördert.

Es gab auch gute Gründe, das Pflichtfach Ethik erst ab der 7. Klasse anzubieten. Einer davon war, kein konkurrierendes Angebot zum Religions- und Weltanschauungsunterricht zu schaffen. An der Stellung des Religions- und Lebenskundeunterrichts an den Berliner Schulen hat sich also nichts geändert, die Schulen stehen dafür offen und das Land finanziert das Angebot der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit knapp 50 Millionen Euro pro Jahr. Es zu nutzen, beruht auf der freiwilligen Entscheidung der Schüler. Das hat in der Stadt seit nunmehr 60 Jahren Tradition.

Dass in Berlin – im Unterschied zu fast allen Bundesländern – Religion kein Pflichtfach ist, geht auf das Berliner Schulgesetz von 1948 zurück. Gesichert wurde dies im Grundgesetz durch die Bremer Klausel (Artikel 141). Sie besagt, dass Religion in jenen Ländern kein ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen sein muss, in denen am 1. Januar 1949 eine entsprechende rechtliche Regelung bestand. Für die multikulturelle und multireligiöse Gegenwart Berlins, in der zwei Drittel der Bürger konfessionsfrei leben, ist die „Bremer Klausel“ kein Makel, sondern ein Glücksfall. Sie passt zu dieser Stadt. Sie garantiert Religionsfreiheit ebenso wie einen toleranten Umgang mit allen Religionen und Weltanschauungen.

Die „Bremer Klausel“ ist auch keine DDR-Erfindung. Genauso wenig, wie es nur im Ostteil der Stadt konfessionell nicht gebundene Menschen gibt. Dennoch besteht Grund zur Sorge, dass mit der Initiative „Pro Reli“, die eine Wahl zwischen Religion und Ethik von der 1. Klasse an fordert, erneut eine Kampagne Berlin bewegt, die die Stadt spaltet. Denn es wird unterstellt, dass die Einführung des Faches Ethik vor allem beschlossen wurde, um die Arbeit der christlichen Kirchen zu behindern. Als besondere Triebkraft wird dabei die im Ostteil der Stadt verwurzelte Linke beschrieben. Und immer wieder heißt es, dass die Kirchen die Einzigen seien, die sich fundiert mit Fragen von Ethik, Moral und Werten auseinandersetzen können.

Wer so argumentiert, riskiert nicht nur ein neues Ost-West-Zerwürfnis, sondern einen Kulturkampf. Werte gibt es nicht nur mit Gott. Einer Forsa-Umfrage vom Januar 2008 zufolge verstehen sich 80 Prozent der Menschen, die keiner Konfession angehören, als Humanisten. Studien belegen, dass Jugendliche im Allgemeinen gleiche Werte haben – unabhängig davon, ob sie Religionsunterricht als staatliches Wahlpflichtfach haben oder nicht. Mit diesem Begehren könnten die Berliner nicht mehr gewinnen als sie ohnehin schon haben. Mit der Aufgabe der „Bremer Klausel“ würde die Stadt dagegen eine libertäre Tradition verlieren.

Carola Bluhm ist Fraktionsvorsitzende der Linken im Abgeordnetenhaus.

Ein Komentar von Carola Bluhm

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