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Anschaulich. Walter Anyanwu erklärt das Prinzip „Ubuntu“.

© Thilo Rückeis

Achtsamkeitstraining "Ubuntu": Ein Wort für alle guten Fälle

Ubuntu bedeutet Empathie, Vertrauen, Verantwortung und Respekt: Bei einem Workshop lernen Grundschüler mit diesem Begriff aus der Zulu-Sprache Grundlagen der Gewaltprävention.

Es ist Montagmorgen und die Schüler der Klasse 1,2,3h drehen sich mit weit aufgerissenen Augen zueinander. Die Grundschule am Rohrgarten in Dahlem hat Walter Anyanwu von den SOS-Kinderdörfern für ein zweistündiges Achtsamkeitstraining eingeladen. Die Kinder sollen ihrem Gegenüber so lange in die Augen schauen, bis sie darin ihre eigene Spiegelung entdecken. Durch kleine Rollenspiele soll die Wahrnehmung für sich selbst und füreinander gestärkt werden. Kinder und Erwachsene, die sich mit aufgerissenen Augen fixieren und viel grinsen – es ist ein fröhlicher Anblick.

Vor den Sommerferien hatte das Lehrerkollegium den Eindruck, dass es den Kindern an Bezug zueinander fehle und deswegen Projekttage zum Thema Achtsamkeit organisiert. Immer wieder war zuvor Baumaterial eines Spielehauses am Schulhof herumgeworfen worden, Pflanzen im Gemüsebeet waren geknickt. „Ich achte auf mich“, „Ich achte auf die Umgebung“ und „Ich achte auf die Gemeinschaft“ liest man jetzt auf Plakaten beim Schuleingang.

„Manchen Kindern fällt es schwer, ihre Gefühle nach außen zu tragen“, sagt Jana Tosch, die Klassenlehrerin der 1,2,3h. Gerade beim Jahrgangsübergreifenden Lernen, bei dem jedes Jahr ein Drittel der Schüler die Klasse verlässt und ein Drittel an Neuen dazukommt, werde das soziale Gefüge jedes Jahr neu verhandelt. Es komme zu Missverständnissen und Ärgernissen. Dann könne es passieren, dass zwei Schüler Witze über den Namen eines Dritten machen, woraufhin dieser zu schubsen beginnt.

„Empathie, Vertrauen, Verantwortung, Hilfe und Respekt lassen sich alle auf einmal mit dem Zulu-Wort Ubuntu ausdrücken“, erklärt Trainer Walter Anyanwu. Er hat im Jahr 2004 während seiner Arbeit für SOS-Kinderdörfer in Österreich angefangen, in Schulklassen mit dem Begriff zu arbeiten. Verantwortung, Liebe, Respekt. Das wollen Menschen seiner Erfahrung nach aber nicht mehr hören, weil es nach Sonntagspredigt klingt. Ubuntu sei eine verständliche Metapher, leicht zu merken und auch leicht umzusetzen. Man müsse es nur im eigenen Lebensraum entdecken. Etwa wenn ein Mädchen ihre weinende Freundin ins Schulsekretariat begleitet oder ein Junge wie vereinbart Laubblätter mit in die Schule bringt. Schnell findet die Gruppe Beispiele für Vertrauen und Unterstützung zwischen Eltern, Lehrern, Kindern und Haustieren. „Wir wollen die Schulcurricula mit dem Alltagsleben zusammenbringen“, sagt Anyanwu. Dem achtjährigen Kapena gefällt, dass er bei der Projektstunde auch von den Kindern, die er nicht so mag, mehr Persönliches erfährt.

Auch an anderen Schulen wird das Soziale Lernen groß geschrieben. Die Mary-Poppins-Grundschule in Spandau hat es sich vor sechs Jahren sogar zum Schwerpunkt gemacht. „Fit für das Leben zu werden, heißt auch fit zu sein, mit Menschen zurechtzukommen“, meint Schulleiterin Irmgard Schadach. In zwei Stunden pro Woche wird seitdem im „Klassenrat“ das Klassengefüge reflektiert. Was brauchen wir, um miteinander zu arbeiten und uns wohlzufühlen – das besprechen die Schüler in dieser Zeit. Manchmal würde ein Lehrer die Stunde lieber für ein Diktat nützen, erzählt Schadach, doch mittlerweile fordern die Schüler den Klassenrat ein.

„Soziales Lernen muss an der Schule in ein Gesamtkonzept integriert sein“, sagt Ria Uhle, die in der Bildungsverwaltung für Gewaltprävention zuständig ist. Es betreffe die grundlegenden Regeln des Zusammenlebens an der Schule. Schüler könnten zum Beispiel in die Pausenaufsicht einbezogen werden oder als Konfliktlotsen Streit schlichten.

An der Grundschule am Rohrgarten hat Ubuntu noch am selben Tag Anwendung gefunden. Lehrerin Tosch wollte zwei Schüler, die manchmal zu viel miteinander quatschen, eigentlich an andere Plätze setzen, gab ihnen aber einen Vorschuss Ubuntu. Die Schüler hätten ihre Arbeit gemacht, erzählt Tosch, und später zurückgemeldet: „Dein Ubuntu war super!“ Katharina Ludwig

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