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Schule: Ankunft im Sternenhimmel

Wilhelm II. ersetzte den Stern durch das Wappen der Hohenzollern Zwischen Flügeltürern, Silberpfeilen und Weißen Elefanten: Für 150 Millionen Euro hat sich Mercedes-Benz ein neues Museum gegönnt

Ausgerechnet im offenen Cabrio. Es gibt viele Möglichkeiten, einen „Starenkasten“ zu transportieren. Der Mercedes-Benz-Mitarbeiter, der die fürs neue Firmenmuseum in Stuttgart bestimmte Radarfalle vom Hersteller abholte, hatte sich für die luftige Variante entschieden. Das ging nicht lange gut. Eine Polizeistreife stoppte ihn, mutmaßend, ein ertappter Temposünder habe das Beweisstück seines Vergehens abgesägt und mitgenommen. Es dauerte ziemlich lange, die argwöhnischen Beamten vom eigentlichen Zweck des Kastens zu überzeugen.

Den erfüllt er nun zwischen Mülllaster, Abschleppwagen, Feuerwehr, Schneefräse und anderen Nutzfahrzeugen der Marke Mercedes-Benz. Ein in die „Galerie der Helfer“ eingefügtes Schau- und, nun ja, auch Hassobjekt, zugleich Kulisse für die Veteranen der Firmen- wie auch eines der 33 humorigen „Extras“ zur Automobilgeschichte, die in die Ausstellung eingelagert wurden. Denn wenngleich das neue Museum am Stammsitz Stuttgart-Untertürkheim vor allem den Glanz des traditionsreichen Markennamens feiern soll – der gesellschaftliche und historische Rahmen wird nie aus den Augen verloren.

Der älteste Automobilhersteller der Welt setzt sein Museum nicht einfach auf die platte Erde. Eigens wurde dem Felsengrund ein Hügelchen aufgeschüttet, das erst das Museum in die ihm gebührende Höhe schob, ein Meisterwerk des Architekturbüros UN studio van Berkel & Bos in Amsterdam, eine Riesenskulptur aus Glas und Aluminium, das an die elegante Silhouette eines U-Boot-Turms ebenso denken lässt wie an die gestapelten Ringe des Guggenheim-Museums in New York. 150 Millionen Euro hat sich der Konzern das Schmuckstück kosten lassen.

Schon die in der Nähe befindliche alte Sammlung war mit 500 000 Besuchern 2005 das meistbesuchte Firmenmuseum der Welt. Seit 1961 gab es den Altbau. Für die 120 Jahre Firmengeschichte war er längst zu klein, Nutzfahrzeuge konnte man nicht reinstellen. Auch der Neubau zeigt nur einen Teil der über 600 Fahrzeuge des Depots: 1500 Exponate, im Mittelpunkt 80 Personenwagen, 40 Nutzfahrzeuge und, Gipfel der Inszenierung, 40 Rennautos. Aber bevor der Besucher das erste Auto zu Gesicht bekommt, nimmt ihn der Raum selbst gefangen. Knapp 50 Meter hoch wölbt sich das Foyer, eine Kathedrale der Technikverehrung, um die sich die in die Höhe geschichteten Schauräume gruppieren, geweiht den Legenden wie „Weißer Elefant“, „Flügeltürer“, „Silberpfeil“ oder „Papamobil“.

Erwarten würde man eher einen Aufstieg von den Ursprüngen des Autos zu den lichten Höhen seiner Zukunft. Der Weg, den der Stuttgarter Architekt und Museumsgestalter HG Merz vorschreibt, verläuft umgekehrt. In futuristisch anmutenden Fahrstühlen geht es nach oben, während auf die vorbeigleitenden Wände kurze Filmsequenzen projiziert werden, ein von Motorengebrumm begleiteter Rückflug durch die Geschichte des Autos. Zuletzt ertönt Hufgeklapper: Willkommen im Zeitalter des Pferdes.

Das ist mit der Erfindung des Otto-Viertakters 1880 und des Benz-Zweitakters 1882 fast schon zu Ende. Vier Jahre dauert es nur noch, bis mit der „Standuhr“, einem Einzylinder, der erste hinreichend leichte Motor entwickelt ist und mit der Daimler-Motorkutsche und dem Benz-Patentmotorwagen die ersten fahrtüchtigen Automobile vorgestellt werden.

Die Geburt eines neuen Zeitalters stellt man nicht einfach zur Schau, man muss sie inszenieren. HG Merz hat seine Präsentation der beiden Urautos zwischen einem leuchtend-weißen Glasboden und einem ebenso illuminierten Glashimmel einer Szene aus Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ entlehnt – abgewandelt durch das monotone Hintergrundtuckern der „Standuhr“ und den Ölgeruch einer alten Werkstatt. Für den Besucher ist der Raum „Pioniere 1886 bis 1900“ zugleich Ort der Entscheidung. Er kann nun auf dem nach unten sich windenden Weg der sieben „Mythos“-Räume wandeln oder auf dem der fünf „Collection“-Räume. Wie in einer DNA-Doppelhelix sind sie aufgereiht, inszenierte Firmenlegenden für den eiligen Besucher in der einen Spirale, für den geruhsamen Entdecker thematisch geordnete Sammlungen in der anderen. Doch kann man sich auch hin und her treiben lassen, hier die Gehaltsabrechnung eines der ersten italienischen Gastarbeiter, dort den Motor DB 601 aus dem Jagdflugzeug Me 109 studieren oder die Sammlung nach automobilen Raritäten absuchen. Der technisch Interessierte stößt dann etwa auf den Simplex von 1902, den ältesten noch erhaltenen Mercedes, mit 40 PS schon 80 km/h schnell. Der Glamour-Süchtige hingegen verweilt in der „Galerie der Namen“ vor dem 500 SL, den Lady Di fuhr, das erste Mitglied des britischen Königshauses mit ausländischem Wagen, den sie nach Kritik von Regierung, Gewerkschaften und Industrie zurückgab. Oder der Besucher bewundert einen 190 E von 1984, Vorbesitzer Ringo Starr, das 770er Cabrio F des exilierten Kaisers Wilhelm II., über dem Kühlergrill das Hohenzollernwappen statt des Sterns, Adenauers letzten 300er, im Fond Ventilator und Klingel für den Chauffeur, oder auch, dies aber kein Original, den deutschen Mannschaftsbus der Fußball-WM 1974. Zuletzt münden beide Wege in ein gemeinsames Ziel, den alles überstrahlenden Mythos „Silberpfeile“. Er entstand im Frühjahr 1934 durch ein Kilo Übergewicht, das den weiß lackierten Rennwagen W 25 wegen der neuen 750-Kilo-Formel von der Teilnahme am Eifelrennen auf dem Nürburgring ausschloss. Über Nacht wurde der Lack abgeschliffen, das Gewicht stimmte – und der W 25 siegte im silbern schimmernden Aluminiumkleid. Es war nur eine Station in der langen Mercedes-Benz-Renngeschichte, die auf einer angedeuteten Steilkurve – Hommage an die Avus-Nordkurve – inszeniert wird. Sie reicht vom 14-PS-Rennwagen von 1900 bis zu Mika Häkkinens und David Coulthards Formel-1-Boliden und der aufgerüsteten C-Klasse der DTM-Rennen.

Bei so viel Sorgfalt und Ehrgeiz in der Präsentation eigener Geschichte darf Mercedes-Benz schon auf noch höheren Zuspruch hoffen. Bis Ende Dezember wird mit 720 000 Besuchern kalkuliert, ab 2007 sollen es eine Million pro Jahr sein. Bis diese Heerscharen strömen, wird wohl auch eine weniger provisorische Lösung zum Schutz des Fußbodens unter den Gebrauchtwagen gefunden sein. Vor einigen Wochen jedenfalls lagen hier und da noch gummierte Fußmatten unter den Motoren. Beruhigend zu wissen, dass ein auf Hochglanz polierter Edelveteran auch nicht anders ölt als ein alter Golf.

Eine Architektur-Besprechung folgt in den nächsten Tagen auf den Kultur-Seiten

DIE AUSSTELLUNG

Auf 16 500 Quadratmetern zeigt das Museum insgesamt 80 Personenwagen, 40 Nutzfahrzeuge, 40 Renn- und Rekordautos, ein Motorboot, zwei Luft- und drei Schienenfahrzeuge. Sie verteilen sich auf sieben „Mythos“- und fünf „Collection“-Räume sowie den Raum „Faszination Technik“ über die Arbeit in den firmeneigenen Laboratorien. Weiteres unter www.mercedesbenz-museum.de

DIE ZEITEN

Das Museum wird am 19. Mai in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel feierlich eröffnet. Ab 20. Mai steht es dem Publikum offen, dienstags bis sonntags zwischen 9 und 18 Uhr.

DIE PREISE

Der Eintritt für Erwachsene kostet acht Euro, Schüler, Studenten und Rentner zahlen die Hälfte. Für Kinder bis 14 Jahre ist der Besuch des Museums frei. Den ausleihbaren Audioguide gibt es auch speziell für Kinder.

D ER WEG

Das Museum befindet sich in Stuttgart-Untertürkheim, Mercedesstraße 100. Autofahrer sollten sich in Richtung Stadion/DaimlerChrysler orientieren. ac

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